Karde

Karde

Kein Gemüse macht mehr Arbeit als die Karde. Sie ist alle Mühen wert. Und im Ofen in Tomatensoße gratiniert, ist sie ein klassisches, italienisches Winteressen.

Von Juri Gottschall

Als ich vor ein paar Tagen die erste Karde des Jahres entdeckte, war meine Freude riesig. Denn dieses Gemüse gehört meines Erachtens zu dem Feinsten, Geschmackvollsten, was man in der Küche verarbeiten kann. Ich kann dieses stachelige Monstrum gar nicht genug loben, was vielleicht auch daran liegt, dass unsere Beziehung seit jeher wechselhaft und von Startschwierigkeiten gezeichnet war. Aber wie so oft, ist die Freundschaft dann umso inniger.

 

Zum ersten Mal sah ich die riesigen, blassen Keulen vor einigen Jahren im Winter auf einem Markt in Frankreich

 

Zum ersten Mal sah ich die riesigen, blassen Keulen vor einigen Jahren im Winter auf einem Markt in Frankreich. Dort stapelten sie sich an jedem Stand und sahen mit ihren Stacheln so widerspenstig aus, dass ich sie zwar fasziniert, aber nicht begeistert betrachtete. Später begegneten sie mir immer in verschiedenen Rezepten (der fantastische Kochblog lamiacucina hat eine große Auswahl davon) und Büchern. Leider ausgerechnet immer dann, wenn sie gerade nirgends zu bekommen waren.

 

Karde
Auf dem Markt in Mulhouse, ganz links auf dem Verkaufstresen: die Karde.

 

Im letzten Winter dann war ich ein paar Tage in der Schweiz und wollte mir unbedingt ein paar eingelegte Exemplare im Glas mitnehmen. Dort hat das Gemüse eine lange Tradition und wird als Cardon sogar in der Gegend um Genf als AOC-geschütze Spezialität kultiviert. Nach vielen Fragen, die ich vielen ratlosen Schweizern stellte, musste ich irgendwann tatenlos wieder abreisen und hatte seitdem ein Ziel: Die perfekte Karde selbst einzukochen.

 

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… nach tagelangem Kampf im Glas…

 

Also besuchte ich Münchens Gemüsehändler. Spina, der sie oft anbietet, hatte keine. Auf dem Markt suchte ich sie ebenfalls vergeblich. Irgendwann entdeckte ich in dem absolut großartigen türkischen Supermarkt Verdi in der Landwehrstraße eine ganze Kiste, die ich sofort mitnahm. Die nächsten Tage waren von verletzten und verfärbten Händen gezeichnet, aber irgendwann hatte ich tatsächlich neun Gläser feinste Karde in Agrodolce in der Küche stehen. Seitdem ist das Gemüse zwar in meiner Küche zwar fast immer verfügbar, es wird aber allein aufgrund der Mühe und Vorgeschichte immer etwas besonderes  bleiben.

 

Karde
… nach dem Besuch im Ofen…

 

Weil aber natürlich frisch trotz allem immer besser ist als aus dem Glas, habe ich mich dem widerspenstigen Kraut nun wieder angenommen. Diesmal in der klassischsten Variante, wie sie in unzähligen Variationen auf italienischen Webseiten genannt wird. Dort heißt sie meist Gobbi oder Cardi al pomodoro und wird paniert in Tomatensoße überbacken (ein sehr schönes Rezept gibt es hier beim SZ-Magazin). Das macht viel Arbeit, ist aber eine herrliche Aufgabe für dunkle Herbstabende und das Ergebnis entschädigt für alles. Die im Tomatensud gegarten und mit Parmigiano Reggiano gratinierten artischockenartigen Karden schmelzen auf der Zunge und man fühlt sich so weihnachtlich und innerlich warm, wie höchstens noch nach einem großen Topf Minestrone.

Also Leute, kauft Karden! In Italien findet ist vor allem eine Gegend im Piemont für das Gemüse berühmt. In Nizza Monferrato gibt es sogar eine eigene, geschützte Variation.
Abgesehen vom Genuss ist dieses Gemüse mit all seinen Bitterstoffen nämlich auch noch außerordentlich gesund und wird teilweise sogar als Heilmittel gegen alles mögliche verkauft.

 

Karde
… und endlich auf dem Teller