Glühbirne

Die Birne

Herkömmliche Glühbirnen sind seit einigen Jahren verboten. Weil aber niemand das Licht von Energiesparleuchten, LED oder Halogen mag, statten Gastronomen ihre Lokale flächendeckend mit Kohlefadenlampen aus. Über einen hübschen Irrsinn.

Von Juri Gottschall

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Wie allgemein bekannt sein sollte, gewöhnt sich der Mensch nicht gern an Neues. Noch weniger kommt er allerdings damit klar, wenn ihm etwas Bewährtes weggenommen wird. So geschehen im Jahr 2009, als die erste Phase des EU-weiten Glühlampenverbots in Kraft trat und man plötzlich keine schönen alten matten Birnen mehr kaufen konnte. Was war die Panik damals groß: Menschen kauften kistenweise alte Lampen (die offizielle Bezeichnung lautet ja: Glühlampe, während das für gewöhnlich als Lampe bekannte Möbelstück offiziell Leuchte heißt) und kluge Geschäftsleute begannen Restbestände alter matter Birnen für das Vielfache des Originalpreises zu verkaufen. Wer den nicht zahlen wollte, stieg um. Zumeist auf futuristisch aussehende Energiesparlampen oder flimmernde LEDs, die uns mit aberwitzig niedrigen Stromverbrauchswerten schmackhaft gemacht wurden.
Nach und nach konnte man dann – zum Beispiel als Spaziergänger in mitteleuropäischen Breiten – etwas beobachten, das es so zuvor vielleicht höchstens vor über 100 Jahren bei der Erfindung der Elektrizität gegeben haben muss: Die Farbe und Qualität des uns umgebenden Lichts veränderte sich.

Es gibt eine These, die besagt, dass die Farbtemperatur in den Wohnungen immer kühler wird, je weiter man sich in Europa südwärts bewegt. Gleichzeitig werden die Straßenlaternen immer wärmer und strahlen fast ausschließlich gelb. Bei uns war es immer andersrum. Bis jetzt. Es wurde blauer, wenn man abends in die beleuchteten Zimmer der Wohnungen sah und auch öffentliche Räume, ja sogar die Straßenbeleuchtung kühlte sich langsam immer mehr ab. Selbst die Werbung hatte sich bald schon an die neue Farbe gewöhnt: Auf einem Plakat der Stadtwerke München vor ein paar Jahren leuchtete die Stadt in der Vogelperspektive plötzlich nicht mehr warm, gelb, einladend, sondern war in ein kühles, fast weißes Licht umgefärbt. Ein paar Aktivisten, allen voran der bekannte Leuchtendesigner Ingo Maurer, starteten zunächst einen kleinen Kreuzzug für die Rückkehr der Glühlampe als Kulturgut, verstummten aber bald wieder und designen nun LED-Leuchten. Die verbrauchen weniger Strom und haben eine ähnliche Lichtfarbe. Dass sie aber eigentlich nicht leuchten, sondern uns ständig mit kurzen Lichtblitzen beschießen, scheint kein Hindernis zu sein. Der große Sparplan der EU für weniger Energieverbrauch schien also aufzugehen. Zumindest scheinbar.

 

Je hipper der Laden, desto dunkler und wärmer das Licht

 

Denn neben mehr oder weniger anspruchsvollen Privathaushalten gibt es eben auch noch die Gastronomie. Und die hat sich in den letzten fünf Jahren in einer beispiellosen Einigkeit einem neuen Kodex der Farbtemperatur unterworfen, der sich auf eine ziemlich einfache Formel herunterbrechen lässt: Je hipper der Laden, desto dunkler und wärmer das Licht. Die alte Glühfadenlampe, die bislang nur mehr dem monetär besser gestellten Manufactum-Kunden vorbehalten war, ist zum Erkennungszeichen aller Cold-Brew-Cafés und Burgerläden, aller Smoothieshops und Tagesbars geworden. Geheimnisvoll golden glimmen gläserne Großstadtrestaurants, und ihre Beleuchtung verbraucht bei weniger Lichtleistung ein Vielfaches des Stroms, den die Energiesparlampe einspart. Fährt man an einem dunklen Wintertag durch die Stadt, könnte man meinen jedes zweite Restaurant sei geschlossen, so dunkel ist es da. Zum Glück sieht man in letzter Minute doch noch aus dem Augenwinkel die verhalten glitzernden Lämpchen zwischen den Tischen. Die Waldmeisterei, sowas wie die Kantine aller Münchner Hipster zwischen Universität und Pinakotheken – lässt die Leuchten gleich sicherheitshalber die ganze Nacht hindurch brennen, obwohl der Laden um 20 Uhr schon längst den letzten Cappuccino verkauft hat.

Und selbst in der gehobeneren Gastronomie ist die Liebe zur Wärme angekommen: Bei Feinkost Käfer leuchtet ein ganzer Kronleuchter mit auf ein Minimum gedimmten industriell anmutenden Röhren selbst bei Tageslicht und Sonnenschein. Vielleicht ist das sogar der konsequenteste Einsatz, denn schließlich werden die Lampen offiziell überall als nicht geeignet zur Raumbeleuchtung, sondern als Speziallampe zur Wärmeerzeugung angeboten.

Was aber zeigt uns diese die Liebe zur Birne? Dass wir uns nicht dem Diktat der Sparer unterwerfen wollen? Dass wir mehr Wärme in unseren Restaurants brauchen? Sind alte Glühlampen das neue Kerzenlicht und bekommt das Candle-Light-Dinner damit eine ganz neue Bedeutung? Oder zeigt die Entwicklung doch einfach nur, dass Sparpläne oft nicht aufgehen?

Denn: Würde sich mal jemand die Mühe machen die durchschnittliche Helligkeit in zehn Hipster-Restaurants zu messen und den entsprechenden Energieverbrauch der dort eingesetzten Glühlampen mit dem durch Energiesparlampen eingesparten Strom verrechnen – es wäre nicht verwunderlich, wenn sich die durch das Verbot erreichte Ersparnis allein durch den Mehrverbrauch in der Gastronomie wieder ausgleichen würde.

Zum Glück hat aber auch dafür die hippe Industrie schon eine Lösung gefunden. Denn jetzt gibt es sogar falsche LED-Lampen im Kohlefadendesign zu kaufen. Für alle, die dem Trend jetzt noch folgen wollen, aber die zu hohen Stromkosten scheuen. Das ist dann sozusagen der erleuchtete Analogkäse, der Burger ohne Fett, in Birnenform.

Im Privathaushalt sieht man die Leuchten übrigens ausgesprochen selten. Außer in meiner eigenen Küche. Dort ersetzen sie die testweise eingesetzten LED-Leuchten, nachdem ich beim schnellen Hacken von Kräutern die Bewegung des Messers nur noch wie im flimmernden Zeitraffer wahrgenommen habe. Da ist jede gesparte Wunde das Geld wert.