Philipp Tresch

„Ich wollte der schreiende Mann mit der großen weißen Mütze sein“

Der Schweizer Koch Philipp Tresch über das Kochen, das Leben und seine Liebe zur italienischen Küche.

Von Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall

Der Schweizer Koch Philipp Tresch hat viel zu erzählen. Der Urenkel einer italienischen Schmugglerin ist in der Schweiz geboren, in London aufgewachsen und lebte und arbeitete auf den Philippinen, in Russland, im Keller von Alpenchalets und in Kajüten privater Luxusyachten auf dem Mittelmeer. Heute kocht er wieder in einem kleinen gehobenen Restaurant in Luzern und schmiedet Pläne für einen eigenen Laden. Ein Gespräch über das Leben als Nomade, Einkaufen ohne Budgetbeschränkung, den Wandel des Kochberufs und die Genialität der italienischen Küche.

Philipp, woher eigentlich deine Leidenschaft für die Küche?

Mir war früh klar, dass gutes Essen ein Wert an sich ist. Wir sind in dritter Generation Italiener. Meine Urgroßmutter schmuggelte Lebensmittel, Kaffee und Zigaretten aus Bergamo in die Schweiz. Die italienische Küchentradition gab sie an meine Großmutter weiter. Sie kochte deftige Eintöpfe, Polenta und im Kamin räucherte sie ihre eigenen Würste und Speck. Ich wuchs in London auf, wo meine Eltern arbeiteten. Das Essen in London war in den 70er-Jahren grauenhaft, schon der Kaffee eine einzige Gülle und bei meinen Freunden zuhause mochte ich erst gar nichts anrühren. Nur zuhause gab es gutes Essen. Und die Ferien bei meiner Großmutter waren kulinarische Ferien. 

Erinnerst du dich an den Schlüsselmoment deiner Entscheidung, Koch zu werden?

Hin und wieder gingen wir in London sehr fein essen – die einzige Möglichkeit an akzeptables Essen zu kommen. Im Dorchester Hotel durfte ich die Küche besuchen. Wie es dort abging! Unter dem Grill loderten die Flammen, es roch nach Knoblauch und Kräutern, die Köche schmissen riesige Fleischstücke auf den Rost und schrien sich an. Da wusste ich es. Ich wollte der Mann mit der großen weißen Mütze sein und rumschreien. In der Hitze. Über dem Feuer. 

 

„Im Dorchester Hotel durfte ich als Kind die Küche besuchen. Wie es dort abging! Da wusste ich es. Ich wollte der Mann mit der großen weißen Mütze sein und rumschreien. In der Hitze. Über dem Feuer.“

 

Mit 18 hast du im Oberengadin in der Schweiz dann endlich deine Kochlehre beginnen können.

Ich wollte die Ausbildung natürlich gleich abbrechen, als ich gemerkt habe, was Kochen überhaupt heißt: Schwitzen, Pfannen rumschleppen. Wir haben noch auf den alten Kupferpfannen gelernt, die waren verdammt schwer, da warst du nur am Buckeln. Der Holzkohlegrill hatte was-weiß-ich-wieviel Grad, man bekam Blasen auf den Lippen von der Hitze. Im zweiten Lehrjahr wollte ich zum Kellner umschulen. Wie die immer so schnickschnack in die Küche gekommen und durch den Gastraum spaziert sind und obendrauf noch das große Trinkgeld gemacht haben, da war ich neidisch. Immer am Labern, nie am Arbeiten, so kam mir deren Beruf vor. Ich bin doch nicht blöd, dachte ich, ich mache jetzt auch Kellner. 

Und?

Der Lehrmeister erlaubte mir sogar, für drei Monate aus der Küche in den Service zu gehen. Also bin ich losgezogen mit Hemd, Krawatte und glänzenden Schuhen und fand es herrlich, den Küchenchef von der anderen Seite aus zu drangsalieren: „Tisch 44, toute-de-suite s’il vous plait!“ Aber ich habe schnell gemerkt, dass das nur die eine Seite des Kellnerns ist. Die andere ist Silber polieren, Gläser polieren, Chandeliers abstauben, die riesigen Säle staubsaugen, Lingerie, Tischtücher, Servietten – bald fand ich das schlimmer als das Schwitzen in der Küche. Und bin zurückgekehrt. Mit der Erkenntnis: Ich muss da durch, woanders wird es auch nicht einfacher. Im Nachhinein bin ich überzeugt davon, dass mir das raue Klima in der Küche sogar gut getan hat.

Inwiefern?

Etwas trotz aller Widerstände durchzuziehen formt den Charakter. Je härter die Schule, desto stärker gehst du daraus hervor. Du lernst dich durchzubeißen. Und das begleitet dich durchs ganze Leben. Ohne diese Fähigkeit kommt man nicht gut durch. Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen reifen kann, wenn er vor Schwierigkeiten wegläuft. Aber heute werden harte Arbeitsumfelder ja nicht mehr geduldet. Alle sind so empfindlich geworden. Dabei ist Leid auch mal wichtig. Dein Chef ist ein Arschloch? Steh drüber. Zieh dein Ding trotzdem durch. Leid macht stark.

 

„Ich glaube nicht, dass die Persönlichkeit eines Menschen reifen kann, wenn er vor Schwierigkeiten wegläuft. Aber heute werden harte Arbeitsumfelder ja nicht mehr geduldet. Alle sind so empfindlich geworden. Dabei ist Leid auch mal wichtig.“

 

Empfindest du die jungen Kollegen als verhätschelt?

Ich kann dir nur sagen, was ich im Restaurant beobachte. Im Frühling habe ich im Restaurant ein Spargeleis gemacht. Kombiniert mit einem Spargelsalat, die Hälfte gekocht, die Hälfte roh, serviert auf einem Schwertfischcarpaccio. Und bis ich das Spargeleis so weit hatte, dass es richtig gut war, brauchte es fünf, sechs Proben. Ein junger Koch, der mit mir am Arbeiten war, sagte: „Also Chef, du hast ja unendliche Geduld, der erste Versuch war doch schon sehr gut.“ Dass er schon mit dem ersten Versuch zufrieden ist, liegt an einer fehlenden Geschmacksgenauigkeit. Einem niedrigeren Anspruch. Das hat mit Faulheit nicht unbedingt zu tun. Sondern mit einer Schule, die es ihm nicht anders beigebracht hat. Er probiert etwas und sagt: So passt mir das. Ich probiere und sage, passt, aber geht noch besser. Eigentlich ist es noch zu süß. Zu cremig. Zu wenig Sorbet. Dafür braucht man Geduld und Hartnäckigkeit. Die man entweder gelernt hat oder nicht. In meiner Schule ging es um Perfektion. In seiner um Effizienz.

Dass man sich Zeit kaum mehr leisten kann, ist ja leider auch in anderen Berufen so. 

Das ist das Eine. Das andere ist, dass sich beim Kochen neuerdings so viel auf Gadgets verlassen wird. Es fehlt mittlerweile vielen ein körperliches Gespür für das Kochen. Das Vertrauen in den Fingerdruck, in die eigene Intuition. Ich habe gerade wieder einen jungen Chef de partie erlebt, der das Siedfleisch zu früh rausgenommen hat. Weil er es nicht eingestochen hat. Er hat nur auf die Uhr geschaut. Er wusste nicht einmal, wie sich das anfühlen muss. Wie testet man, ob eine Kalbszunge genau richtig gegart ist? Man muss vorne, beim Spitz der Zunge mit Daumen und Vorzeigefinger eindrücken. Man muss sie zerdrücken können. Das sind so Sachen, die lernst du nicht, wenn du alles auf Knopfdruck im Sous-Vide-Gerät und mit Vakuumsack garst.

 

„Es fehlt mittlerweile vielen ein körperliches Gespür für das Kochen. Das Vertrauen in den Fingerdruck, in die eigene Intuition. Wie testet man mit den Fingern, ob eine Kalbszunge genau richtig gegart ist? Das lernst du nicht im Sous-Vide-Gerät.“

 

Zurück zu deiner Biografie. Du hast nach deiner Ausbildung im Palace in Gstaad angefangen, einem Fünf-Sterne-Hotel. Nah dran also schon am herumschreienden Mann mit der großen weißen Mütze.

Das Geschrei kam mir zunehmend wahnsinnig vor. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich Küchenchef von 50 Köchen werden wollte. Nach den Feiertagen, spätestens am 4. Januar war der Chef für zwei Wochen außer Gefecht gesetzt, Stimmbänder zerfetzt von der Schreierei. In der Zwischensaison habe ich als Aushilfe im Restaurant Rialto in Gstaad gekocht, ein kleines italienisches Restaurant. Das war schön. Das Essen hat mich an die Küche meiner Großmutter erinnert. Daran, dass es auch noch etwas anderes als Butter und Rahm gibt.

Damals war die französische Küche das Nonplusultra in der Hotellerie.

Ja, und da stand ich auf einmal in dieser kleinen italienischen Küche mit Italienern und Portugiesen und da wurde nichts übertrieben oder verkünstelt. Da wurden einfach gute Produkte benutzt. Olivenöl. Pasta. Risotto. Mit Pilzen. Brasato-Ravioli, wie der Schmorbraten meiner Oma. Ich habe gedacht: Das mag ich viel lieber.

Du hast im Palace gekündigt und in einem kleinen Restaurant in Luzern angefangen. Dann hat dich das Fernweh gepackt.

Ich war sehr jung, ich wollte was erleben. Und das ist ja das Schöne am Kochberuf, man kann überall arbeiten, vom Luxushotel bis zur Ölplattform. Ich wollte nur unbedingt die italienische Küche mitnehmen. 

Du hast auf den Philippinen für eine Schweizer Firma gearbeitet, die italienische Enotecas unterhielt. 

Das hat Spaß gemacht. Leider holte uns bald die Asienkrise ein und ich musste gehen. Last in, first out, wie man so sagt. Dann bin ich nach Moskau, wo ein Kollege ein Restaurant aufgemacht hat. Aber wir hatten immer wieder Probleme bei dem Import der Waren. Bestechungen am Zoll, die Gänseleber und die Tauben mussten ja irgendwie unbeschadet durchkommen. Und dann kam wieder eine Krise, die Russenkrise. Der Rubel war außer Kontrolle geraten, Jelzin lag im Sterben. Man riet uns, das Land zu verlassen.

Dann kam das Angebot, als Privatkoch zu arbeiten – in dem Chalet eines bekannten Immobilienunternehmers.

Ich wollte zuerst absagen. Jeden Tag Spiegelei und Birchermüsli? Wie langweilig. Aber der Kollege, der mir den Job anbot, sagte: Nee nee, das geht da voll ab, die machen Riesenpartys und so, da musst du richtig groß aufkochen. Na gut, hab ich gesagt, ich mach’ das. Ja, und das war toll! Plötzlich konnte ich nicht nur Koch, sondern auch wieder ein bisschen Kellner sein. Kochen, servieren, quatschen, hier mal einen guten Wein bringen, da mal einen guten Cognac anbieten. Und das Beste: zum erstem Mal durfte ich kochen ohne Budgetbeschränkung. Welcher Koch kann so kochen? Ohne aufs Geld zu achten?

 

„Als Privatkoch durfte ich zum ersten Mal kochen ohne Budgetbeschränkung. Welcher Koch kann so kochen? Ohne aufs Geld zu achten?“

 

Was hast du da so gekocht?

Die kulinarisch aufregendste Zeit war meine Zeit bei einer Familie, der mehrere Feinkostabteilungen großer Kaufhäuser gehörten. Die hatten natürlich ein wahnsinniges Verständnis für Essen. Ich habe da selber Brot gebacken, Pralinen gemacht, ich habe ein Riesenmenü zur Hochzeit der Tochter konzipiert. Das war eine Familie vom Kaliber: man bestellt sich Phil Collins für einen Auftritt auf der Gartenparty nach Hause. Haben sie tatsächlich gemacht, ein paar Monate bevor ich kam. Als ich das gehört habe, wusste ich, alles klar, jetzt bin ich ganz oben angekommen. Im Winter sind wir alle zusammen ins Chalet der Familie nach Mégève, da gab es dann richtiges mountain food, Polenta, Pilze, Risotto, Raclette. Wir haben ganze Vacherins in den Ofen geschoben und mit dem Suppenlöffel ausgelöffelt. Es gab flambierte Tartars und an einem Abend haben wir ganze Trüffelknollen der Reihe nach auf Spieße gesteckt und mit Lardo, dem in Gewürze eingelegten italienischen Speck, umwickelt und in der Asche gegart.

Man kann Trüffel im Feuer backen?

Ja, er muss nur gut geschützt sein. Man wickelt den Lardo um die auf die Spieße gesteckten Trüffel und verpackt die Spieße in Alufolie, bevor man sie ins Feuer gibt. Das Fett wirkt als Geschmacksträger und intensiviert das Trüffelaroma. Die Knolle gart ganz sanft und wird nur immer intensiver, und dann isst man sie zu etwas frischem Sauerteigbrot. Bombastisch. Wo kann man an einem Abend ein Kilo Trüffel verballern? Alle Angestellten haben mitgegessen, wie in einer großen Familie. Der Hausherr brachte mir ein Glas Wein und bedankte sich für meine Arbeit. Leider war ich nur eineinhalb Jahre dort, weil ich mit der Madame nicht sehr gut ausgekommen bin. 

Du hattest öfter mal Probleme mit den Hausherrinnen. Hast du die Frauen generell schwieriger als die Männer erlebt?

Die waren immer viel schwieriger. 

Warum?

Ach, weil sie es nicht leicht haben. Von außen sieht es aus, als hätten sie den ganzen Tag nichts zu tun. Das allein ist schon nicht schön. Und dann werden sie hinter den Kulissen aber sehr herum geboxt. Der Herr gibt den Ton an. Wenn er sagt, wir gehen, dann gehen wir. Beenden mal eben den Urlaub. Und dann ist nie irgendetwas genug. Sie shoppen soviel, dass sie schon keine Lust mehr aufs Shoppen haben. Es muss halt immer was Neues her, damit sie weiterhin Eindruck machen. Ihnen fehlt Anerkennung. Sie fürchten, dass eine Jüngere kommt. Und dann sind sie immer auf Diät. Und wenn noch Kinder im Spiel sind, wollen die auch noch ständig etwas von der Mama. Und die Mama ist ja ganz nebenbei auch meistens noch die Personalchefin. Der Chef hat ja selbst schon soviel zu verwalten. Man denkt: ach, diese Menschen leben in Saus und Braus, die sollen sich mal nicht beschweren. Aber grad die Frauen werden von allen Seiten beschossen. Das ist ein großer Lebensstress.

 

Philipp Tresch

 

Es ist schon ein seltsamer Beruf, Hausangesteller einer Familie zu sein, oder? Man ist nie Teil der Familie, aber man kommt allen sehr nah. Man kriegt vieles mit, aber man kann mit niemandem darüber sprechen.

Das ist so. Wenn du in diesem Beruf arbeitest, musst du hundertprozentig koscher sein. Du kannst nicht rumlabern, was vorgestern Abend passiert ist, wer mit wem eine Affäre hat, wo ein uneheliches Kind aufgetaucht ist, obwohl der Papa verheiratet ist. 

Auf dem Boot, auf engstem Raum, ist das wahrscheinlich noch schwieriger – du hast ja auch viele Jahre auf den Privatyachten dieser Familien im Mittelmeer gearbeitet.

Das ist nicht immer einfach. An Bord hat das Personal ja auch noch Ausgangsverbot, selbst wenn drei Tage Landgang geplant sind. Du weißt nie, wann der Patron kommt und sagt: Wir müssen sofort los. Und das passiert schon oft. Wenn dann die halbe Mannschaft an Land ist, ist das scheiße. Man sitzt also fest. Wenn mir mal alles zu viel wurde, habe ich eben gesagt, ich muss dringend einkaufen und bin an Land zum Spazieren und Durchatmen. So bin ich mal von dem Kahn runtergekommen. Das Privileg hatten die anderen nicht. Aufs Essen sind nun einmal alle angewiesen.

Kann man nicht mal einen einzigen Tag vereinbaren, an dem alle rauskönnen und man ganz sicher im Hafen bleibt?

Das ist die Ausnahme. Es muss immer alles abfahrbereit sein. Das klingt so exzentrisch, aber das ist es gar nicht. Das ist einfach nur der Anspruch einer Familie, mal frei und flexibel zu sein, wenn sie schon beruflich immer so angespannt sind.

Wie lebt man auf so einem Boot?

Wir waren meist so um die 15 Personen, Familie plus Angestellte. Der Kapitän und der Leitende Ingenieur hatten jeweils eine eigene Koje. Die Marinaios lebten in Vierer-Kojen. Ich hatte Glück, dass es auf dem Boot oft noch eine Koje für einen Bodyguard gab, der nicht mitfuhr. Sie lag hinten am Boot und damit gleich am Ausgang, was für mich auch die beste Position war, das Boot zum Einkaufen zu verlassen.

Was hast du auf den Yachten gekocht, gibt es so etwas wie die typische Mittelmeer-Bootküche?

Im Sommer am Mittelmeer gibt es am Straßenrand, was man in den größten Delikatessenmärkten der Welt nicht in dieser Qualität findet. Ich habe frische grüne Mandeln gekauft, weiße Pfirsiche, junge süße Feigen, ich habe roh als Carpaccio aufgeschnittene Zitrusfrüchte serviert, Antipasti aus frischem Marktgemüse, jede Art von Fisch, Muscheln, Messermuscheln, Seeigel, Bottarga. In Sizilien und Nordafrika habe ich Cous-Cous gemacht, Kichererbsen, Falafel, Hummus. Südtalien ähnelt kulinarisch ja mehr Afrika als Europa. Ich habe wirklich alles ausprobiert, alle mediterranen Küchenstile vermischt, viel experimentiert. Jakobsmuscheln mit einer scharfen Salami, Kutteln mit gebratenem Fisch und einer leichten Proseccosauce, … Was Schöneres und Sinnvolleres gibt es ja nicht im Leben eines Kochs: Kaufen, was auf dem Markt ist. Verarbeiten, was gerade frisch ist, und daraus ein Menü improvisieren.

Dreht man nicht regelmäßig durch vor Reizüberflutung auf diesen Märkten?

Man dreht durch. Man will ja alles gleichzeitig verarbeiten. Und man hat, wie gesagt, nicht mal ein Budget! Aber zum Glück kommen oft Freunde der Familie an Bord und man kann große Buffets machen und eine Menge ausprobieren. Außerdem braucht man einen gewissen Vorrat, weil das Boot unterwegs ist und man auf See nicht einkaufen kann. Im Zweifel hat man immer zu wenig. Plötzlich stürzen sich alle auf die weißen Pfirsiche, du hattest eigentlich zwei Riesenkisten, aber das reicht nicht mehr bis nach Monte Carlo. Dann kommt der Chef und sagt: Wo sind denn die schönen Pfirsiche? Tut mir leid Monsieur, die Kinder haben alles weggegessen. Aber solche Momente sind auch ein guter Anlass, auf Landgang zu drängen.

 

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Musstest du immer zur Verfügung stehen, wenn zum Beispiel nachts um drei nach dem Ausgehen noch jemand einen Burger wollte?

Ich hatte das Glück, immer für Menschen zu arbeiten, die selbst schon mit Personal aufgewachsen sind und dementsprechend wussten, wie man respektvoll mit Personal umgeht. Bei meinen Arbeitgebern ging es immer anständig und menschlich zu. Ich weiß aber von anderen Köchen, dass die herum gescheucht wurden wie Nutzvieh. Wenn die Söhne des Patrons um vier aus der Disco kamen, wollten die Spaghetti und Club-Sandwiches. Also wurde der Koch geweckt. Meine Gastgeber haben so etwas nicht gewagt. Mein Kriterium war daher auch immer, für altes Geld zu arbeiten. Ich kenne einfach zu viele hässliche Geschichten meiner Kollegen, die für Menschen mit neuem Geld arbeiten mussten und die dort nicht gut behandelt wurden. Neues Geld bringt leider viel zu oft Profilneurosen mit sich.

Kann man das so pauschal sagen?

Meiner Erfahrung nach ja. Die Wertschätzung bei altem Geld ist anders. Weniger ist mehr, aber das, was da ist, muss richtig gut sein. Das macht vielleicht schon die Erziehung, eine Kinderstube mit Klasse. Meine Arbeitgeber haben einfach viel gearbeitet und nebenbei ein gutes Leben gelebt. Gute Sachen gekauft, gute Partys gemacht. Die wussten, wie man feiert. Großzügig. Mit Stil. Mit Schirm, Charme und Melone, wie man so sagt. Und zu Gast waren ebenfalls gute Leute. Gunter Sachs, Andreas Gursky, Herzog und De Meuron, Heidi Klum, Nadja Auermann. Sie hatten einfach alle Klasse. Man hat sie oder man hat sie nicht. Lernen kann man das nicht. Ein gutes Beispiel hingegen für die Art von Reichtum, bei dem es nur darum geht, dass mehr besser ist, ist das Leben auf der Lady Moura, einer mehrstöckige Luxusyacht, die eine Zeit lang als die größte der Welt galt. Ich habe dort nicht gearbeitet, aber ich habe oft neben ihr vor Anker gelegen und dabei Sachen beobachtet, die ich nicht nachvollziehen kann.

Zum Beispiel?

Als wir zum allerersten Mal neben ihr vor Anker lagen, war Mittagszeit. Es war sehr still. Ich sah aus dem Küchenfenster. Plötzlich öffneten sich an der Seite des Bootes zwei riesige Klappen. Heraus kam eine ganze Truppe Philippinos, die man niemals an Deck sah, weil sie ausschließlich im Bauch dieses Schiffes lebten. Sie leerten Dutzende 50 Kilo-Säcke weißen Sand auf den Klappen aus. Trugen Jetskis, Sonnenschirme, Sonnenliegen aus dem Inneren des Bootes und arrangierten sie auf dem Sand. Ein groteskes Theater. Aber es kam niemand. Stundenlang. Nach drei Stunden kamen die Philippinos wieder raus, fegten hektisch den ganzen Sand in das Meer, die Klappen fuhren hoch und das Boot haute ab. Der ganze Aufwand für nichts. Der ganze Sand. Das hat mich wahnsinnig berührt. Ich habe das gleiche Schauspiel später noch sehr oft erlebt. Ich weiß nicht, wieviel Sand die jedes Mal dabei gehabt haben müssen. Ich weiß nicht, worum es solchen Leuten geht. Sie führen vielleicht einfach einen Machtkampf darum, wer das ausgefallenste Spielzeug hat. 

Nach 15 Jahren hast du aufgehört, als Privatkoch zu arbeiten, jetzt bist du seit sieben Jahren wieder in Luzern in der Gastronomie, aktuell im Restaurant La Perla. Vermisst du das Leben als Nomade?

Nein, irgendwann bist du genug rumgereist. Und es ist schon auch ein tough life als Marinaio, ewig auf See. Du bist immer so allein. Hast keinen Sous-chef, keine Küchenbrigade, die du mit Experimenten beauftragen kannst, die Ideen einbringen, die Fachkenntnisse mitbringen, von denen du mal etwas Neues lernen kannst. In jedem Hafen hat man mal eine Freundin und trotzdem nie eine richtige. Das spürt man erst später, wenn man älter wird. Dass man eigentlich das ganze Leben lang rumgereist und sehr egoistisch den eigenen Interessen nachgegangen ist. Ein großer Teil fehlt am Ende. Familie, Kinder. Aber man entscheidet sich nun einmal für einen Weg und dann muss man mit den Problemen, die dieser Weg mit sich bringt, fertig werden. Der eine bereut, dass er immer so wild war und sich nie niedergelassen hat, der andere bereut, dass er sich niedergelassen hat und nie wild war. Das ist doch immer das gleiche, oder?

 

„Der eine bereut, dass er immer so wild war und sich nie niedergelassen hat, der andere bereut, dass er sich niedergelassen hat und nie wild war. Das ist doch immer das Gleiche, oder?“

 

Du hast dem La Perla 15 Gault-Millaut Hauben erkocht. Sind dir Preise und Auszeichnungen im Leben wichtig?

Früher sehr. Ich bin ja französisch und damit sehr militärisch ausgebildet worden. Eine Zeit lang habe ich den Wettkampf in Kochwettbewerben gesucht. Aber nach Stunden des Kochens alles vom Teller in den Kübel schütten, das ist pervers. Ich träume heute von einer anderen Art von Wettbewerb, nicht diese kalten Ausstellungen, wo kaum gegessen und das meiste weggeschmissen wird. Ich träume von Wettbewerben, die Menschen bekochen, die gern essen. Die Köche müssten auf den Markt gehen und die Aufgabe wäre nur: Macht etwas aus dem, was ihr findet. Oder: Macht etwas von Teilen vom Fleisch, die nicht Entrecôte oder Filet heißen. Schweinefuß! Da liegt die große Kunst und die Aufgabe der Köche. Heute mehr denn je. Ein Filet braten kann jeder. Deshalb liebe ich die italienische Küche. Sie ist bodenständig. 

 

„Macht etwas aus den Teilen vom Fleisch, die nicht Entrecôte oder Filet heißen. Verarbeite einen Schweinefuß! Da liegt die große Kunst und die Aufgabe der Köche. Heute mehr denn je. Ein Filet braten kann jeder.“

 

Sie richtet sich nach der Natur und nicht andersherum. 

Richtig. Die italienische Küche ist mit dem Tavolata-Prinzip groß geworden: Wenn Freunde zusammengekommen sind, wurde die Tür ausgehängt und auf zwei Steine oder Holzböcke gestellt und es wurde aufgetischt, was da war. Was die Leute mitgebracht haben. Flasche Wein dazu und los. Alle haben alles geteilt. Das ist wunderschön. Das ist so weit weg von der Sterne-Gastronomie, wo alles brav und steif dasitzt. Essen ist doch Emotion, da muss Farbe her, Öl auf den Tisch und drunter auf dem Holz ein Ölring. Da muss keiner Angst vor haben, der gehört da hin. Ein paar Mal im Jahr Essen auf hohem Niveau genießen ist lustig, das verstehe ich. Aber die Alltagsküche muss anders sein.

Schon allein, weil die meisten sich alles andere auch nur schwer leisten könnten…

Und es kommt auch ein Umwelt-Aspekt dazu. Es ist schwer genug, heute überhaupt noch eine gute Tomate zu finden, warum muss ich sie zu Schaum verwandeln? Warum braucht es immer einen Püree hier und einen Gelee da, ein Lüftchen dort? Neulich hat ein Koch eine falsche Mozzarella gemacht. Er hat eine fetthaltige Milch mehrmals kurz unter den Siedepunkt gebracht, bis sich eine Haut ergeben hat wie im Topf von der Großmutter. Jedes Mal hat sich eine zusätzliche Schicht Haut gebildet, die hat er abgenommen und angetrocknet. Dann hat er eine Mozzarella püriert, was aus meiner Sicht ganz grauenhaft ist: eine perfekte Mozzarella durch den Mixer zu fetzen. Und dann hat er die in diese Milchhaut reingespritzt. Dieses Experiment hieß Mozzarella finta. Jetzt ist diese Exekutierung dieses Milchleders schon interessant – es ist Kochen auf dem höchsten Niveau, da muss man ja erstmal ein halber Physiker sein um das überhaupt zu verstehen, um draufzukommen…

 

„Muss ein Koch heute Künstler sein, um in die Presse zu kommen? Müssen Köche jetzt alle neue Rockstars werden, oder sollten sie nicht eigentlich lieber dazu beizutragen, dass unser Planet langfristig überleben kann?“

 

…aber?

Aber es ist mir zuwider, ein perfektes Produkt vom Bauern zu zerstören, bloß um etwas Neues daraus zu machen. So eine gute Büffelmozzarella ist ein Starprodukt. Die ist bereits vollendet, die muss man nicht mehr dekonstruieren. Jetzt kann man sagen: das ist Kunst. Muss ein Koch heute Künstler sein, um in die Presse zu kommen, um hochgelobt zu werden? Müssen Köche jetzt alle neue Rockstars werden, oder sollten sie nicht eigentlich lieber dazu beizutragen, dass unser Planet langfristig überleben kann? Das ist die große Frage. Ich bin auf der Seite der Natur. Der ganze Kunst-Hokuspokus hört spätestens auf, wenn wir nichts mehr zu essen haben. Dann interessiert sich niemand mehr für eine komische aufgespritzte Mozzarella.

A propos gute, einfache Produkte: du liebst Olivenöl. Und kennst dich aus mit Olivenöl. Du bist 2015 zum Olive Oil Chef Of The Year gewählt worden.

Über Olivenöl könnte ich ewig sprechen. Ein richtig gutes zu finden ist schwer. Und vor ein paar Jahren konntest du auch mit niemandem drüber reden. Wenn du zu einem anderen Koch gesagt hast, verzeih, aber dein Olivenöl, das schmeckt etwas komisch, haben die dich alle für verrückt erklärt. Viele Köche haben einfach keine Ahnung, wie ein gutes Olivenöl schmecken muss, nicht mal in der Spitzengastronomie. Das ist unglaublich. Und tragisch. Nicht mal alle Olivenbauern wissen es. Das Thema ist wahnsinnig heikel. Wenn du zu einem Bauern gehst, der seit Generationen Olivenöl macht und ihm sagst, sein Öl sei ranzig, was leider oft der Fall ist, kannst du froh sein, dass er dich nicht auf der Stelle erschießt. Erst seit ganz kurzer Zeit befassen sich Olivenbauern und Köche wirklich mit der Qualität von Olivenöl. Lange wurden in jahrhundertealten Steinmühlen die immer gleichen ranzigen Öle produziert. Aus Unwissen. Von dem absichtlichen Pfusch der Industrie mal ganz abgesehen. Ich träume davon, dass das Bewusstsein der Menschen für gutes Öl steigt. Und die Bereitschaft, es zu bezahlen. Gutes Öl ist nicht billig. Dafür ist es gut. Zum Glück gibt es Menschen wie meinen guten Freund Silvan Brun, der sich mit seinem Kompetenzzentrum evoo für gutes Olivenöl einsetzt.

Wovon träumst du noch? Was wünscht du dir zu diesem Zeitpunkt für dich und dein Leben?

Eins ist sicher, der große rumbrüllende Mann werde ich nicht mehr. Rumbrüllen tu ich schon lange nicht mehr, dafür ist mir meine Energie zu schade. Eine große weiße Kochmütze brauch ich auch keine mehr, weil ich nämlich keine Haare mehr habe. Ich möchte jetzt gern meinen eigenen, kleinen Laden machen. Ich weiß einfach noch nicht genau, wo. Eine Grotte müsste es sein. Eine Höhle, wo Wein und Öl und Schinken und Brot einfach rumstehen. Ein Schlaraffenland der italienischen Bergküche. Geröll, Gestein. Damit will ich mich umgeben. Aber man braucht auch Gäste. Also hat es keinen Sinn, aufs Matterhorn zu gehen und darauf zu warten, dass sich alle paar Monate einer in meine Grotte verirrt. Vielleicht muss man eine Grotte bauen. Mitten in die Großstadt.

Fotos: Juri Gottschall