Puntarelle

Bitte bitter

Dieser römische Wintersalat ist nicht nur eine Hommage an die Eleganz des bitteren Geschmacks. Ganz nebenbei wärmt er auch noch die Seele und verlängert das Leben.

Von Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall

Was genau hat der deutsche Gaumen eigentlich für ein Problem mit der Geschmacksrichtung bitter? Wäre nicht uninteressant mit dieser Frage zum Volkspsychologen zu gehen. Bis dahin tut es aber auch eine therapeutisch-kulinarische Exkursion nach Italien. Denn während im durchschnittlichen deutschen Supermarkt der Chicorée oft die letzte Bastion Bitterkeit darstellt (und auch nur, um auf dem Teller durch verzuckertes Dressing entkräftet zu werden), erwartet einen in der Bittergemüse-Ecke italienischer Supermärkte so etwas wie das kulinarische Stendhal-Syndrom, will sagen: die totale Reizüberflutung.

 

Die Liebe zum Bittergeschmack ist in Italien von jeher in der Esskultur verankert

 

Die Liebe zum Bittergeschmack ist in Italien von jeher in der Esskultur verankert. Radicchio, Artischocken, Stängelkohl, Catalogna und andere Varianten der Zikorie sind dabei nur die bekanntesten Vertreter. Auf diversen Bauernmärkten zwischen Como und Catania kauft man zudem das ganze Jahr über lokales, bitteres Unkraut in allen Farben und Formen. Um es daheim roh in den Salat zu werfen oder mit Öl und Knoblauch als einfache Beilage zum Fleisch in der Pfanne zu dünsten. Von den vielen bitteren Aperitifs, Tonics und anderen Bar-Elixieren ganz zu schweigen. Die Scheu vor Bitterkeit scheint man hier tatsächlich nicht zu kennen. Im Gegenteil, dem Bitteren haftet in Italien eine geradezu elegante Selbstverständlichkeit an. Man sollte sich von ihr nicht nur zum Wohl der eigenen Gesundheit etwas abschauen.

 

Eigentlich eine Form von Gesundheitsvorsorge: der Puntarelle-Salat

 

Einer der ganz großen Klassiker der italienischen Bittergemüse-Küche sind die Puntarelle alla romana. Ein herber Wintersalat, der mit seinen deftigen Aromen zuverlässig die Seele wärmt – und das, obwohl er kalt serviert wird. So eine Insalata di puntarelle enthält übrigens auch noch Sardellenfilets und damit aterienfreundliche Omega-3-Fettsäuren. Wenn sich dann noch der obligatorische filo d’olio dazu gesellt, zumal aus aktueller Ernte und damit nie frischer, schärfer, würziger und polyphenolhaltiger als jetzt, kann der Körper nur noch jubeln.

Die gute Nachricht für alle Daheimgebliebenen: Es gibt die Puntarelle zwar in Deutschland, Österreich und der Schweiz so gut wie nie im Supermarkt. Dafür aber in den Wintermonaten immer öfter in gut sortierten Bio-Läden. Bei italienischen Großhändlern und aufgeweckten Gemüsehändlern wird man auch fündig. Wer das Zikoriengewächs noch nie zuvor gesehen hat, mag sich angesichts seiner etwas durchgedrehten Form erschrecken und es im ersten Moment für ein mutiertes Spargel-Etwas mit Löwenzahntarnung halten.

Die äußeren, ebenfalls essbaren und sehr bitteren Blätter gelten landläufig als Catalogna und spielen die Hauptrolle in vielen anderen klassischen italienischen Gerichten. Ihre spargelähnlichen Triebe im Inneren sind jedoch gemeint, wenn von der Puntarelle die Rede ist. Im Lazio und in Kampanien spielt die Insalata di puntarelle alla romana eine so große Rolle, dass jeder, der in Sachen Küche etwas auf sich hält, ein kleines Werkzeug besitzt, das eigens dazu gedacht ist, die Puntarelle in die für ihren Salat erwünschten schmalen Stiftchen zu schneiden. Doch keine Sorge, ein scharfes Messer und etwas Sorgfalt erledigen den Job genauso gut.

 

Einfacher könnte ein Rezept kaum sein

 

Die Puntarelle waschen, gut abtropfen lassen oder sorgfältig mit dem sauberen Handtuch abtupfen. Nichts ruiniert Salate zuverlässiger als aus Nachlässigkeit verwässerte Zutaten. Nun die einzelnen Triebe voneinander trennen und jeweils in schmale und kurze Stiftchen schneiden. In einer kleinen Schale ein ausgewogenes Condimento abschmecken. Frisches Olivenöl, etwas Weißweinessig, klein geschnittene Sardellenfilets und ein wenig sehr fein geschnittenen rohen Knoblauch. Wer möchte, kann den Essig auch durch Zitrone ersetzen oder ergänzen und jetzt in der Zitrusfrüchte-Hochsaison ist auch die frisch-herbe Bergamotte keine schlechte Wahl.

Wer keine Sardellen mag oder hat, sollte für die gewünschte Würzigkeit zumindest ein paar klein gehackte Kapern oder Kapernblätter hinzufügen. Natürlich ist auch eine Kombination von Kapern und Sardellen erlaubt und empfohlen. Abschmecken mit Pfeffer und wenig Salz (die Kapern und die Sardellen sind schon salzig genug). Dann alles mit den fein geschnittenen Puntarelle-Trieben vermischen, ein paar Minuten durchziehen lassen und servieren.

Dieser Text ist auch in Merum erschienen, dem Italien-Magazin für Wein, Olivenöl, Reisen und Speisen, mit dem wir regelmäßig zusammenarbeiten.