Dieser Mann heißt Carmine und seine große Liebe heißt Pizza. Neapolitanische Pizza. Vor vielen Jahren ist Carmine nach Deutschland gekommen und hat hier eine Pizza gegessen. Eine Woche lang, sagt er, hatte er danach Bauchschmerzen. Die Deutschen können viel, sie bauen zum Beispiel tolle Autos, sagt Carmine. Aber leidenschaftliche Küche, vor allem italienische, vor allem: Pizza, das können sie nicht.
Auch was die meisten Italiener den Deutschen in italienischen Restaurants oder Pizzerien als Pizza verkaufen, das sei eine Beleidigung für Italien und Pizza und Lebensmittel überhaupt. Lebensmittel müssen hochwertig sein, an Lebensmitteln darf man nie sparen, und man muss es auch nicht, denn die besten Gerichte sind sehr einfach und bestehen aus wenigen Zutaten. „Sag mir was du isst, und ich sag dir, wer du bist“, sagt Carmine und beugt sich zu dir über den Tisch und gestikuliert und schaut dir tief in die Augen. Verstanden? So ist das, so und nicht anders. Eigentlich ist Carmine still und schüchtern und guckt einen grundsätzlich eher skeptisch an, aber wenn es um seine Liebe zum Essen geht und er das Gefühl hat, er spricht mit jemandem, der zuhört, dann beginnt er zu lodern und so zu gucken, wie er jetzt guckt.
Aber von vorn: Carmine ist Pizzaiolo im La Pergola, einem Restaurant in Kaufbeuren, zwischen Gewerbegebiet und Schnellstraße, versteckt hinter einer kurvigen Auffahrt, völlig unspektakulär und ehrlich gesagt schon allein von der Optik sehr italienisch. In genau dem Sinne, dass es von Außen erstmal nach ganz und gar nichts Besonderem, sondern sehr improvisiert aussieht, und einen drinnen dann aber umhaut, kulinarisch. Die Pizza bei La Pergola ist die einzige Pizza in ganz Deutschland, die sich mit dem geschützten Begriff Verace Pizza Napoletana schmücken darf. Das haben wir gelesen und uns gewundert: Warum macht sich jemand diese Mühe? Und dann noch mitten im Allgäuer Land? Man könnte ja auch einfach nur gute Pizza backen, ohne Zertifikat. Was steckt dahinter? Und ist die Pizza wirklich anders als die, die man hier in München in guten Pizzerien bekommt? Also sind wir hingefahren und haben gefragt. Vor allem aber haben wir natürlich gegessen. In München gibt es gute Pizza. Aber so eine Pizza? Gibts nicht. Wobei: Höchstens neuerdings bei Rosso Pomodoro, bei Eataly. Müsste man mal parallel essen.
Das Zertifikat war Carmines Bedingung, in Deutschland zu bleiben, damals, als Ingrid Josowic ihn für ihr italienisches Restaurant La Pergola als Pizzabäcker aus seiner Heimat Salerno nach Kaufbeuren holte. Ingrid Josowic, eine freundliche Frau Anfang Fünfzig, hat Fremdsprachen studiert und lange in Italien gelebt. Zurück in Kaufbeuren hat sie vor 15 Jahren ein Restaurant aufgemacht. Aus Liebe zur italienischen Küche und auch aus Verzweiflung darüber, dass man, obwohl die Dichte italienischer Restaurants in Bayern ja exponentiell höher ist als im Rest von Deutschland, trotzdem so selten gutes italienisches Essen vorgesetzt bekommt. Carmine wollte erst nur drei Monate bleiben, jemand anderen zum Pizzabacken anlernen, und dann wieder nach Italien zurück gehen. Aber dann blieb er doch, Jahr für Jahr. Ingrid Josowic ließ einen Holzofen bauen und Carmine ließ sich und seine Pizza zertifizieren.
„Sono un crociato“, sagt er. Er sieht sich als ein Kreuzritter der echten neapolitanischen Pizza. Er vermisse Italien immer noch, und es sei nicht leicht gewesen, sich an das Leben in Deutschland zu gewöhnen. Bis heute spricht er kaum Deutsch, weil er lange nicht richtig ankommen mochte. Aber er habe es einfach als seine Mission gesehen, den Menschen in Deutschland zu zeigen, was eine echte Pizza sei. Einmal die Woche kommt jetzt ein Laster aus Italien und bringt l’oro di Napoli, das Gold Neapels ins Allgäu. Denn die Neapolitanische Pizza ist nur eine Neapolitanische Pizza, wenn sie mit den Original-Zutaten hergestellt wird. Carmine findet es unverzichtbar, als anständiger Pizzaiolo auch in der Associazione zu sein, denn dort setzt man sich für den Erhalt der Originalzutaten ein.
Er eilt in die Küche und holt eine Packung Mozzarella di Bufala, und eine Packung Fior di Latte, und zwei Dosen San Marzano Tomaten. Keine anderen Tomaten seien mit ihnen zu vergleichen, sagt er. Rosso, rosso, rosso, seien die, und so perfekt im Geschmack. Er holt Öl und reibt es zwischen den Händen und hält es einem unter die Nase. Er ist in seinem Element, im Pizza-Element. Wir sollen alles probieren. Bald ist der ganze Tisch voller Probiergüter. Samt Melonen- und Pistazienschnaps.
l’oro di napoli, Bufala und Fior di latte
Josowic sagt, Carmine sei ein unglaublicher Pizzaiolo. Solche gebe es selbst in Italien nicht häufig. Schon sein Urgroßvater war Pizzabäcker, die Familie war hoch angesehen und wurde in alle besseren Häuser zum Pizzabacken eingeladen. D’Elia heißt Carmine mit Nachnamen, ein feiner Name von feiner Herkunft, sagt Carmine, und grinst. Leider habe sein Opa das Geschäft an die Wand gefahren, zu viele Frauengeschichten und Spielsucht – wobei, das mit den Frauen sei ja das Problem nicht gewesen, aber die Spielsucht, die habe leider alles ruiniert. In Carmine ist das Talent zum Pizzabäcker dann wieder erwacht. Schon als Kind stand er mit seiner Mutter am Nudelbrett, und hat ständig kleine Pizzen aus dem Teig geformt und in den Ofen gesteckt. „Ich erinnere mich noch genau, sagt er, wie sie mir über den Kopf gestreichelt hat und gesagt hat: Du bist wie dein Opa.“
Und auch Josowic sagt, Carmine habe die Pizza im Blut. „Ich habe noch nie jemanden erlebt, der Lebensmitteln mit so viel Liebe begegnet. Eher würde Carmine einen Menschen schlecht behandeln, als sein Essen. Zu seinem Pizzateig ist er so sanft, wie andere nur zu ihrer großen Liebe.“ Niemals würde er Kompromisse machen. Wenn an einigen Tagen im Restaurant so viel los ist, dass der Teig irgendwann ausgeht, sei eben Schluss. Andere Pizzerien würden neuen Teig ansetzen, mehr Hefe reintun, kurz gehen lassen und weiterbacken. Bei Carmine geht kein Teig unter acht Stunden. Und das ist Minimum.
Wenn man La Pergola nicht kennt, würde man es nicht finden, so versteckt ist es neben der Schnellstraße bei Kaufbeuren. Aber wer es kennt, kommt immer wieder. Sogar der italienische Generalkonsul kommt regelmäßig aus München angefahren, weil er nirgends in der Stadt eine solche Pizza kriegt wie hier bei Carmine.
(Dieser Artikel ist am 25.11.2015 erschienen, entsprechend der Stand der Informationen)