Was für die Beziehung zwischen Menschen gilt, gilt auch für die Beziehung zwischen Mensch und Essen: Wer sich gemeinsam in einer Extremsituation befindet, baut schneller eine Verbindung zueinander auf. Die sogenannte Hängebrückentheorie besagt genau das.
Das Experiment dazu geht so: Eine Frau stoppt in der Fußgängerzone Männer und stellt ihnen ein paar Fragen, angeblich für eine Studie. Sie gibt ihnen auch ihre Nummer: Die Männer sollen anrufen, falls sie später mehr über die Ergebnisse der Studie erfahren möchten. Die gleiche Versuchsanordnung führt die Frau danach auf einer engen, wackeligen Hängebrücke aus.
Es rufen sie nachher deutlich mehr Männer von der Hängebrücke an, als aus der Fußgängerzone. Denn dass sie sich über einem Abgrund kennengelernt hatten, machte die Frau für die Männer um einiges eindrucksvoller als in der Fußgängerzone.
Was für die Beziehung zwischen Menschen gilt, gilt auch für die Beziehung zwischen Mensch und Essen: In einer Extremsituation baut man schneller eine Verbindung zueinander auf
Und um aufs Essen zurückzukommen: Meine tiefe Liebe zu Kartoffelkroketten zum Beispiel erwachte in einer nassdüsteren Unwetter-Nacht in Neapel. Ohne Jacke oder Regenschirm und bis auf die Knochen durchnässt eilte ich durch finstere neapolitanische Gassen, vorbei an den verzerrten Schatten von Heiligenfiguren, vorbei an schummrig beleuchteten Wohnhäusern und aufgeplatzten Müllsäcken. Wildgewordene Moto-Fahrer rasten an mir vorbei und brüllten mir neapolitanische Unflätigkeiten entgegen.
Ich war auf der Suche nach einer ganz bestimmten Pizzeria. Schließlich fand ich sie. Auf meine Pizza wartend, bestellte ich eine Vorspeise. Ich bekam eine heiße, fettige, direkt vor Ort handgemachte Crocchè di patate in die Hand gedrückt, eingewickelt in Papier. Außen kross frittiert und golden leuchtend, innen dampfend weich und würzig. Ein perfekt gesalzenes Kartoffelkissen. Eine Wolke aus Kartoffel, Parmigiano Reggiano, Muskat und frisch gemahlenem Pfeffer. Sie wärmte mich von innen wie lange nichts. Ich sah sie an und sprach zu ihr: Du bist meine Retterin in der Not. Ich liebe dich!
Außen kross frittiert und golden leuchtend, innen dampfend weich und würzig. Crocchè di patate sind ein perfekt gesalzenes Kartoffelkissen, eine Wolke aus Kartoffel, Parmigiano Reggiano, Muskat und frisch gemahlenem Pfeffer
Das Schönste an Crocchè di patate aber ist: Sie schmecken immer. Auch, wenn kein Unwetter herrscht.
Gute, festkochende Kartoffeln abspülen und ungewürzt mit Schale in den Ofen geben. Bei 180 Grad so lange garen, bis sie durch und durch weich sind. Ich mache das meistens spätabends und lasse die fertigen Kartoffeln (etwa ein Kilo) dann einfach bei Zimmertemperatur über Nacht auskühlen. Am nächsten Mittag oder Abend schäle ich sie und zerstampfe sie mit dem Kartoffelstampfer zu Brei. Dann verschlage ich ein bis zwei Eigelb mit Salz und Pfeffer in einer Schale und gebe sie zum Brei, um alles miteinander zu vermischen. Anschließend würze ich mit etwas Muskatnuss und füge fein geriebenen Parmigiano Reggiano hinzu. Wieviel? Geschmackssache. Abgeschmeckt werden muss sowieso, schon allein aufgrund der idealen Salzigkeit. Kartoffeln brauchen ja immer ein Vielfaches mehr Salz, als man zuerst anzunehmen wagt.
Ist die Masse fertig, mit beiden Händen in die gewünschte Form rollen, zuerst durch Eigelb ziehen und anschließend durch Semmelbrösel (die um ein Vielfaches besser schmecken, wenn man sie selbst macht). Man kann die Crocchè di patate auch mit einem später zart schmelzenden Fontina-Kern versehen. Dafür einfach ein großzügiges Stück Fontina in die Mitte stecken. Die Möglichkeiten sind endlos.
Kein Mensch braucht eine Fritteuse
Übrigens braucht kein Mensch auf der Welt eine Fritteuse, wenn er einen Herd und einen Topf besitzt. Ebensowenig braucht die Menschheit schlechtes, billiges Fett, das schnell ranzig wird und den Körper nach dem Essen tagelang belastet. Wer hat eigentlich jemals damit angefangen zum Frittieren schlechtes Öl zu benutzen? Und vor allem: warum? Auch Frittiertes wird gegessen.
Also: Ein zumindest ausreichend gutes Olivenöl Extra Vergine aus nachvollziehbarer Herkunft vorsichtig erhitzen. Es sollte nicht rauchen, aber heiß genug sein, dass sich beim Frittieren schnell eine goldene Kruste bildet – bevor sich das Gemüse unter der Panade mit Fett vollsaugen kann. Zwischen 140 und 170 Grad ist die Temperatur ideal, aber ein Thermometer braucht es trotzdem nicht. Zum Test einfach ein wenig Kartoffelmasse hineingleiten lassen. Wenn die Crocchè di patate auf allen Seiten goldbraun sind, rausnehmen und auf einem sauberen Küchenhandtuch oder Küchenpapier abtropfen lassen.
Servieren mit nichts als einem kühlen Bier und ein wenig groben Meersalz.
Es ist im DuMont-Verlag erschienen und wurde mit dem Deutschen Kochbuchpreis 2022 in Gold und Silber ausgezeichnet.