Pasta

Der Unterschied: Welche Pasta zu welcher Soße?

Eine bestimmte Nudel mit der jeweils richtigen Soße zu kombinieren, ist eine unterschätzte Kunst – und gilt in Italien mindestens als heiliger Akt. Eine Handreichung.

Von Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall

Viele Menschen glauben, die italienische Küche sei eine der einfachsten der Welt. Auch wir berufen uns oft auf diese Feststellung. Hinsichtlich des Zutatenminimalismus liegt man damit richtig. Wie sehr es innerhalb dieser Einfachheit allerdings aufs Detail ankommt, macht die Sache dann doch etwas komplizierter. Pasta ist nie gleich Pasta und „Nudeln mit Tomatensoße“ als Beschreibung eines Gerichts in etwa so tauglich wie „Landschaft mit Wasser“ in einer Gemäldekritik.

 

Nicht jede Pasta passt gleich gut zu jeder Soße, das muss jeder halbwegs feinsinnige Esser bestätigen

 

Denn obwohl viele Küchen der Welt Nudeltraditionen pflegen, hat doch keine eine derart wahnwitzige Vielfalt an Nudelvarianten hervorgebracht wie die italienische. Selbst wer durch den kleinsten italienischen Supermarkt streift, findet dort noch ganze Gänge voll Pasta. Diese Nudelvielfalt rührt auch daher, dass es eine einheitlich italienische Küche nie gab. Sie ist vielmehr ein Sammelsurium aus unzähligen Regionalküchen mit jeweils eigenen Traditionen und eigenem Regelwerk.

Jeder Landstrich, jeder Ort und mitunter jedes noch so kleine Dorf pflegt seine eigene Pasta-Tradition, und meistens basiert ihre Herkunft auf irgendeiner Legende. Wer es wagt, die Zutaten falsch zu kombinieren, begeht nicht nur in den Augen strenger Traditionalisten ein mittelschweres Verbrechen.

Und so einfach es sein mag, sich über die vorherrschenden Regeln lustig zu machen oder ignorant darüber hinweg zu sehen, so sehr mangelt es diesem Spott auch an Feinsinn. Jeder aufmerksame Esser muss bestätigen, dass Haptik, Optik und Form einer Nudel maßgeblichen Einfluss auf das Geschmackserleben eines Gerichts haben. Nicht jede Form passt gleich gut zu jedem Sugo, und für jeden Sugo gibt es die ideale Nudelform. Sieht man genauer hin, folgt die Verpaarung von Nudelformen und Soßen einer gewissen Logik. 

 

Sieht man genauer hin, folgt die ideale Verpaarung von Nudelformen und Soßen einer gewissen Logik

 

Im Groben unterscheidet man in der italienischen Küche zwischen zwei Pastasorten. Der Hartweizenpasta und der Eierpasta. Die einfache Hartweizenpasta wird nur aus Hartweizengrieß und Wasser hergestellt. Dazu zählen zum Beispiel Spaghetti, Trofie, Orecchiette oder Rigatoni, Penne und ihre diversen Unterformen. Heute begegnet man der Hartweizenpasta im ganzen Land, ursprünglich aber war sie vor allem im ärmeren Süditalien und an den Küstenregionen typisch, wo man traditionell Hartweizen anbaute und Eier und Milch noch zu den Luxusgütern zählten.

Die im wohlhabenderen Nord- und Mittelitalien heimische Eierpasta hingegen besteht aus Eiern, Weichweizenmehl und, je nach Hausrezept, teils zusätzlich auch noch aus Hartweizengrieß. Die Eier sorgen zusätzlich zum Gluten des Weizens für noch mehr Bindung, sodass die Eierpasta hauchdünn verarbeitet werden kann und bisweilen wie Seidenpapier auf der Zunge liegt.

Die berühmtesten Vertreter der Eierpasta sind Tagliatelle, Tagliolini, Pappardelle oder gefüllte Sorten wie Ravioli und Tortellini. Sie werden, logisch, traditionell gemeinsam mit Zutaten gegessen, die im Norden typisch sind. Käse, Butter, Fleisch. Etliche der berühmtesten Spezialitäten der italienischen Nudelküche stammen aus der Emilia, dem sogenannten Speckgürtel des Landes. Die mit Mortadella, Schinken und Parmesan gefüllten klassischen Tortellini zum Beispiel. Oder die mit Spinat und Ricotta gefüllten klassischen Ravioli. Und nicht zuletzt eines der berühmtesten und außerhalb Italiens oft unverzeihlich verhunzten Nudelgerichte der Welt: die berühmten Tagliatelle al ragù bolognese. Weil die Struktur einer Nudel bestimmt, wie viel Soße an ihr haften bleibt, wird ein Fleischragù in der Regel mit breiten, rauen Eiernudeln serviert – und bitte niemals mit Spaghetti.

 

Ein Fleischragù wird in der Regel mit breiten, rauen Eiernudeln serviert

 

Basierend auf der Zusammensetzung großer Klassiker wie dieser kann man Regeln ableiten, die sich auf viele Pastagerichte anwenden lassen. Neben Tagliatelle zur Fleischsoße serviert man in bäuerlichen Regionen der Toskana auch gern die noch breiteren Pappardelle als Begleitung zu einem Wildschweinragù. Ein traditionell eher süditalienischer Teller Aglio e Olio hingegen wird idealerweise mit Spaghetti zubereitet: Deren glatte und begrenzte Oberfläche sorgt dafür, dass sich Geschmack und Konsistenz des Öls anreichern können, ohne dass bei jedem Bissen zu viel pures Fett in den Mund transportiert wird. Überhaupt kommen Gemüse, Kräuter, Fisch und Olivenöl fast immer mit Hartweizenpasta auf den Teller. Spaghetti al pomodoro, Orecchiette mit Cima di Rapa oder Penne all’arrabbiata sind populäre Beispiele.

Aber keine Regel ohne Ausnahme: Im nördlichen und wohlhabenden Piemont beispielsweise isst man das Hackfleischragù zwar ebenfalls mit langer Eierpasta, allerdings mit den wesentlich dünneren Tajarin. Diese und ihre etwas breiteren Schwestern, die Tagliolini, sind auch die traditionelle Kombination für die herbstliche Trüffel-Butter-Pasta des Piemonts.

 

Die Größe der Hauptzutat des Nudelgerichts bestimmt oft auch die Größe der Pasta: So passen zu Erbsen oder Bohnen besonders gut kleine Nudeln wie Ditalini oder Ditaloni

 

Als Orientierung für die verwendete Nudelform kann außerdem häufig die Hauptzutat des Gerichts – nach der Pasta selbst natürlich – herangezogen werden. So benutzt man für den Klassiker Pasta e fagioli kleine ringförmige Ditalini oder Ditaloni, die ungefähr die Größe und Form der sie begleitenden Borlotti-Bohnen haben. Auf dem Teller und im Mund sind sie gemeinsam ein doppelter Genuss.

Generell kann man sagen, dass sich lange Pasta-Sorten besonders für Sughi eignen, die zwar glatt, aber dennoch gehaltvoll sind. Beispielsweise Spaghetti alla Carbonara. Die Pecorino-Ei-Creme schlängelt sich um die lange Nudel und befördert dabei auch noch ein paar Stückchen Speck mit auf die Gabel. Dasselbe gilt für die Pasta Amatriciana. Nur dass man hier keine Spaghetti, sondern Bucatini benutzt. Eine regionale Variante aus dem Latium mit einem Loch in der Mitte. Eine Gemüsesoße hingegen ist unter Penne, Rigatoni oder Tortiglioni besser aufgehoben. Die Gemüsestückchen verfangen sich in den Löchern und die Soße wird von den Rillen der Nudeln besonders gut transportiert. Im Mund finden sich so alle Bestandteile des Gerichts zu gleichen Teilen wieder. Auf einer Pasta rigate (gerillt), bleibt mehr Soße haften als auf einer Pasta liscia (glatt).

Die sehr großen Pastaformen hingegen sind vor allem Gerichten aus dem Ofen vorbehalten. Das heißt Lasagne, Cannelloni oder Conchiglioni (große Nudeln in Form von Muscheln), die sich gut füllen und überbacken lassen.

 

Sieht man genau hin, erkennt man sich wiederholende Endsilben, die auf die jeweilige Form der Nudel schließen lassen

 

Klar, dass es ein eigenes System braucht, um all diese Nudelformen präzise zu beschreiben. Sieht man genau hin, erkennt man sich wiederholende Endsilben, die auf die jeweilige Form der Nudel schließen lassen: Während etwa Spaghetti den Standard darstellen, sind Spaghettini die dünnere Variante und Spaghettoni die dickere. Das gleiche gilt für Penne, Pennette und Pennoni. Dieses Prinzip kann auf nahezu jede Pastavariante angewandt werden.

Faszinierend ist übrigens auch: Bei kaum einem anderen Lebensmittel existiert das Industrieprodukt so friedlich neben dem traditionellen Handwerk. Der Konflikt bleibt aus, weil beides seine Berechtigung hat. Während für manches Rezept zwingend frischer Nudelteig genutzt werden sollte, ist für andere Zwecke die trockene Pasta aus der Fabrik viel besser geeignet.

Wem das alles zu theoretisch ist und wer selbst erleben will, wie sehr die Form der Nudel den Geschmack tatsächlich beeinflusst, kann einem der größten Köche Italiens, dem 2017 verstorbenen Mailänder Gualtiero Marchesi nacheifern. Im Jahre 2000 erdachte er das Gericht Quattro paste. Auf einem Teller richtete er vier Sorten Hartweizenpasta an (Fusilli, Spaghetti, Pastina und Paccheri), die er mit etwas Olivenöl extra vergine und fein geriebenem Pecorino servierte. Abstrakte Kunst? Durchgeknallte Sterneküche? „Das kann ja jeder“? Vielleicht auch einfach die Essenz der italienischen Pastaküche. Buon appetito.

Dieser Text ist auch bei ZEIT Online erschienen.