Die (Koch-)Bücher Teil IV

Noch mehr aus dem Splendido-Bücherregal: Eine neue Folge unserer dringenden Lektüretipps.

Von Mercedes Lauenstein

Genauso wie bei den Lebensmitteln und Küchengeräten, die wir in der Küche verwenden, gilt auch für unsere hier empfohlenen Kochbücher und Buchempfehlungen: Alle Empfehlungen sprechen wir aus tiefster Überzeugung und echtem Interesse aus. Wir werden nicht von den Herstellern bezahlt und haben alle hier gezeigten Gegenstände von unserem eigenen Geld gekauft.

Es gibt sicherlich Menschen, die mehr Kochbücher besitzen als wir. Aber von den wenigen, die es doch über unsere Türschwelle schaffen, berichten wir – entsprechend selten, dafür aber mit umso mehr Begeisterung – in dieser Rubrik. Wie schon in der letzten Folge überschreiten wir dabei auch diesmal das Genre Kochbuch und empfehlen auch ein paar andere Bücher mit Italienhintergrund.

Vorweg noch eine kurze Erinnerung: Hier geht es zu unseren eigenen Kochbüchern, dem Splendido Kochbuch I und dem Splendido Kochbuch II, beide ausgezeichnet mit dem Deutschen Kochbuchpreis.

Viel Freude mit unseren Buchempfehlungen.

Christian Seiler: Alles wird gut

Es gibt nicht viele Menschen, die gleichsam unterhaltsam, poetisch und versiert über Essen schreiben können. Der in Wien lebende, aber für seine Küchenkenntnisse die ganze Welt bereisende Autor Christian Seiler führt diese Disziplin an. Ich erinnere mich noch genau an einen der ersten Texte, die ich von Christian Seiler las. Es war eine Folge seiner Kolumne im Magazin des Schweizer Tagesanzeigers, die ich mir ausriss und in irgendeines meiner Notizbücher klebte, um sie bloß nicht zu vergessen. So konnte man also über Essen schreiben. Nein, so musste man über Essen schreiben!

Es ging in diesem Text um die Zubereitung eines sogenannten Slow-Eggs. Einer himmlisch cremig-seidigen, ewig auf niedriger Temperatur gegarten Eierspeise. Vor allem aber ging es um Geduld und alleräußersten Feinsinn. Und nebenbei noch um Richard Hawley, Drei Männer und ein Baby, um Zweifel und kulinarische Gottesbeweise, die Gerinnungstemperatur von Conalbumin und vieles mehr. Auf 5914 Zeichen mit Leerzeichen. Ich weiß es, denn ich habe den Text nicht nur in mein Notizbuch geklebt. Sondern auch in einem Pages-Dokument in einem Ordner namens Gute Texte über Essen auf meinem Computer abgespeichert.

Dass ich alle Bücher von Christian Seiler besitze, erübrigt sich nach dieser Ausführung. „Alles wird gut“ ist 2022 im immer wieder ratsamen Echtzeit Verlag erschienen. Ich weiß nicht, wie Christian Seiler es macht. Aber wenn man dieses Buch liest, befindet man sich plötzlich in einem wohlgestalteten Ohrensessel in einem modernen Schweizer Chalet. Der Kamin lodert, rechts im Augenwinkel befindet sich eine warm beleuchtete Küche, an den Wänden hängen glänzende Kupfertöpfe, auf der Arbeitsfläche stehen Körbe voller frischer Zutaten und im Hintergrund spielt Greg Foat und Eero Koivistoinens Album Feathers. Noch ein, zwei Schluck Rotwein, noch zehn, zwanzig Seiten Lektüre und man wird sich aus dem Sessel erheben und mit dem Kochen beginnen.

 

Claudio del Principe: A punto

Ganz in Seilers Nähe befindet sich bei gleicher Unterhaltsamkeit und Brillanz immer Claudio del Principe, dessen stets weiter wachsendes Werk wir hier schon oft empfohlen haben. Selbst seinem allerersten, noch bei GU erschienenes Kochbuch namens Anonyme Köche (so lautet der Name von Claudios noch immer existierendem, allerdings eher als Archiv zu betrachtenden Blog), halten wir die Treue. Es sprüht bereits vor principetypischen Charme, Originalität und Liebe zu Produktqualität und Minimalismus in der Küche. Wer’s nicht hat, hat Pech.

Doch zu seinem neuesten Buch. A Punto ist nun, viele Jahre und Bücher später, das siebte von Claudios Kochbüchern und noch viel mehr Lese- und Essaybuch als alle vorherigen es auch schon waren. Bitte ebenfalls bei Kaminfeuer und Rotwein aufklappen, Füller und Notizbuch bereit legen und genießen!

Es gibt in A Punto Rezepte, natürlich. Vor allem aber gibt es viele kleine Essays über Principe Küchen-, Koch- und Gastrophilosophie. Es geht um die Werte und Grundlagen seines Kochgeists. Es geht um die beste und effizienteste Art, fantastische Restaurant- und Reisetipps zu sammeln, warum man Blattgemüse ohne Beilagen auch mal als Hauptmahlzeit essen sollte und ein Leben ohne Käse nicht denkbar ist (inklusive einer Mini-Reportage über Claudios bevorzugte Käsemeister). Zwischendrin steht noch ein Interview mit Sternekoch Niko Romito. Und am Ende gibt es ein auf den häufigsten Fragen seiner Leser aufgebautes Interview von Principe mit Principe. Macht Freude – und schlau.

 

Rachel Roddy: Pasta von Alfabeto bis Ziti

Leser des britischen Guardian kennen Rachel Roddy seit gefühlten Jahrzehnten. Die Engländerin lebt mit ihrem sizilianischen Mann und ihrer gemeinsamen Sohn in Rom. Und schreibt von dort aus auf die immer gleich lässige, ehrliche und alltagstaugliche Weise über die Genialität der einfachen italienischen Hausmannskost. Hin und wieder verpaart sie dabei in zartfühlenden Anwandlungen von Heimweh die englische und italienische Küche. Eigentlich natürlich ein Frevel, aber weil Roddy ein fantastisches Gespür für gute Küche hat, gerät das nie unangenehm. Sondern im Gegenteil authentisch, nachvollziehbar und sympathisch.

Ihr neuestes Buch legt den Fokus auf Pasta, genauer, den verschiedenen Pastasorten und -formen der italienischen Regionen. Der Kunstmann-Verlag hat Pasta. Von Alfabeto bis Ziti. nun dankenswerterweise nach Deutschland geholt. Und selbst für jemanden wie uns von Splendido ist das Buch eine wahre Freude: Zwar kennen wir alle vorgestellten Pastaformen und auch die meisten Rezepte. Und doch lesen wir geführt von Rachel Roddys unglaublich freundlicher und versierter Art so gern und leidenschaftlich darüber wie zum allerersten Mal.

Das ist zum Einen der sehr guten und bestens zu verdauenden Struktur des Buches zu verdanken. Zum Anderen aber natürlich Roddys eleganter Schreibweise. Sie ähnelt einem herrlich freundschaftlichen Küchengeplauder mit vielen tagebuchartigen Anekdoten und entlässt einen eine ganze Nummer kochlustiger und küchengebildeter aufs römische Kopfsteinpflaster. Achso, wir waren gar nicht bei Roddy in Rom? So einfach schicken Bücher einen auf Reisen, wenn sie gut sind.

 

Natalia Ginzburg: Die kleinen Tugenden

Hinten auf diesem Büchlein von Natalia Ginzburg in der Wagenbach Salto-Ausgabe steht nur dies:

Wie es zugeht unter Menschen, die sich gernhaben, aber in schwierigen Zeiten leben. Und warum man die großen Tugenden (wie Großzügigkeit) den kleinen Tugenden (wie Sparsamkeit) vorziehen soll.

Das ist auch schon alles, was man über dieses gute, dünne und äußerst wertvolle Buch voll kürzerer oder längerer literarischer Essays und Geschichten einer der zeitlos besten italienischen Autorinnen wissen muss. Die kleinen Tugenden von Natalia Ginzburg ist gut für die Seele.

 

Italo Calvino: Herr Palomar

Italo Calvino. Noch so ein unverzichtbarer Autor. Zumindest, wenn man selbst als jemand geboren ist, dem ständig die banalsten Dinge als die wunderlichsten und poetischsten erscheinen. Das beste für den Einstieg in Italo Calvinos Werk ist Herr Palomar, seines Zeichens ebenfalls wandelnder Extrembeobachter von Alltagssituationen aller Art.

Natürlich kommt der von Italo Calvino ins Leben gerufene Herr Palomar bei seinen Betrachtungen auch um Kulinarisches nicht herum. In einer der vielen dichten, kurzen Episoden ergeht er sich etwa in einer Warteschlange in einer Pariser Charcuterie in der Überlegung des Wechselverhältnis der dargebotenen Speisen mit den Gelüsten der für sie anstehenden Kunden. Ein anderes Mal steht Herr Palomar für Käse an. Dabei erlebt er, was die meisten Menschen womöglich nur aus dem Drogenrausch kennen: der Käseladen als dreidimensional funkelnde Enzyklopädie, als Eingangstor zu hunderten Extrawelten.

Hinter jedem Käse steckt eine Weide von anderem Grün unter anderem Himmel: salzige Marschwiesen als Produkt der allabendlichen normannischen Flut, duftende Bergwiesen unter der windreichen provencalischen Sonne; es gibt verschiedene Herden mit ihren Stallungen und Transhumanzen, es gibt geheime, durch die Jahrhunderte weitergereichte Rezepte. Dieser Laden ist ein Museum: Herr Palomar kommt sich vor wie im Louvre, hinter jedem Exponat spürt er die Präsenz der Kultur, die ihm Form gegeben hat und aus ihm Form bezieht.

Wer die Wege des eigenen Gehirns in dieser Passage aufs Angenehmste wieder erkennt, der braucht dieses Buch. Dringend.

 

Otl Aicher: Die Küche zum Kochen. Werkstatt einer neuen Lebenskultur

Den Namen Otl Aicher kennen die meisten aus dem Zusammenhang der Olympischen Spiele von München 1972. Als Gestaltungsbeauftragter verantwortete er die gesamte visuelle Identität dieses Münchner Großereignis und beeinflusst damit noch heute Teile des Stadtbilds. Von den Uniformen der Angestellten bis zu den wegweisenden Piktogrammen, Plakaten und Parkscheinen.

Weniger bekannt sind seine klugen Überlegungen zur Küchenarchitektur aus dem Jahre 1982. Sie gingen aus seiner jahrelangen Arbeit für die renommierte deutsche Küchenfirma bulthaup hervor und sind bis heute in dem minimalistisch und äußerst anregend illustrierten kleinen Büchlein Die Küche zum Kochen. Werkstatt einer neuen Lebenskultur nachzulesen. Hat man das Buch durch, möchte man sich sofort an den Schreibtisch setzen um einen neuen Küchenentwurf zu zeichnen. Oder wenigstens, je nach Bedarf, eine kleine Küchenerweiterung für die eigenen Küche zu planen. Manch einer wird auch entrümpeln wollen, denn: „Wirklich, das Geheimnis der schönen Küche ist, alles wegzuwerfen, was nichts taugt. (S.90)“

Aber bevor Missverständnisse aufkommen. Es handelt sich bei diesem enorm lesenswerten Büchlein keineswegs um eine bloße Sammlung magazinartiger Kücheninterior-Tipps. Sondern vielmehr um ein Kompaktstudium der mitteleuropäischen Küchen- und Kochkultur. Es geht um die kultur- und soziohistorische Entwicklung heimischer und gastrobetrieblicher Küchen, es geht um den Aufbau und die Ausstattung alter Bauernküchen bis hin zu moderneren Küchenkonzepten wie die Frankfurter oder die Münchner Küche.

Und schließlich die nach Otl Aichers Meinung ideal konzipierte Werkstatt-Küche, die einem leidenschaftlichen zeitgenössischen Koch mit Liebe zu frischer Küche und guten Produkten die beste Arbeitsumgebung bietet. Auch geht es um die Entwicklung des Kochens an sich und um die psychologische Bedeutung von familiären Mahlzeiten. Es gibt eine Auflistung von Küchen- und Kochvokabular und eine Abhandlung der idealen Vorratshaltung – bei jeder erneuten Lektüre lernt man dazu.

Bei dem Wort „zeitgenössisch“ muss man allerdings kurz einhaken. Zeitgenössisch ist das Buch insofern, als dass Otl Aichers Entwürfe für eine werkstattähnliche Küche auch 2023 noch immer genial und aktuell sind. Das macht es so lesenswert. In anderer Hinsicht ist das Buch mit seiner Verwurzelung im Jahre 1982 selbst schon ein historisches Dokument. Auch wenn Otl Aicher ganz offensichtlich zu denen gehört, die mit Leidenschaft selbst kochen und von klassischer Rollenverteilung nicht viel halten, spürt man, dass genau die 1982 aber immer noch in vielen Haushalten Status Quo ist. In dieser Hinsicht hat sich 2023 glücklicherweise einiges getan. So oder so: Das Buch ist in seiner Gründlichkeit ein Juwel, das die Qualität vieler heutiger Bücher weit übersteigt. Für leidenschaftliche Köche eine unverzichtbare Lektüre.

Hier geht es zu Teil I, Teil II und Teil III unserer Buchempfehlungen.

 

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