Wer öfter in Italien essen geht, merkt schnell: Die Restaurant-Landschaft unterscheidet sich sehr von der in Deutschland. Zwar gibt es in fast jedem noch so kleinen Dorf mindestens eine absolut annehmbare (und meistens äußerst empfehlenswerte) Trattoria und eine ebensolche Pizzeria – möchte man aber mal etwas essen, das über die italienischen Traditionen hinausgeht, wird die Auswahl selbst in größeren Städten schnell überschaubar.
Wo in Deutschland selbst in jeder Kleinstadt mindestens ein (zugegeben meist zweifelhaftes) indisches, vietnamesisches, italienisches und oft noch ein mexikanisches oder chinesisches Restaurant zu finden ist, gibt es in Italien: fast nichts. Denn die Kochtradition der Italiener gilt nicht nur aus der Sicht vieler Köche als die beste Küche der Welt. Sie ist nicht unbedingt angewiesen auf die Ergänzung durch andere Kochtraditionen. Es ist ja eher andersherum: wo auch immer italienische Auswanderer hingeraten, wird ihre Küchentradition begeistert angenommen und verehrt. Entsprechend groß das Selbstbewusstsein – und die Ansprüche.
Die einzige Küche, die sich neben der italienischen dauerhaft in Italien etablieren konnte, ist die japanische Küche. Selbst in den kleinsten italienischen Kleinstädten gibt es oft ein Sushi-Restaurant und manchmal sogar eine kleine Izakaya. Wie kommt das?
Schlichtheit und absolute Konzentration aufs Grundprodukt
Man kann nur mutmaßen. Vermutlich liegt es an den großen Gemeinsamkeiten. Beide Länder huldigen in ihrer Kochtradition vor allem der Schlichtheit und der absoluten Konzentration aufs Grundprodukt. Sie arbeiten mit wenigen Zutaten. Unerlässlich sind in beiden Weltküchen kompromisslose Frische und ein fast schon fanatischer Qualitätsanspruch.
Und die Liebe der beiden Küchen-Nationen beruht auf Gegenseitigkeit: Die Geschichte des Yoji Tokuyoshi, der nach einer kulinarischen Reise durch Italien nicht mehr nach Japan zurückwollte und sich kurzerhand in den Zug nach Modena setzte, um als Kochlehrling in Massimo Botturas Osteria Francescana anzuheuern, ist legendär. Inzwischen hat Tokuyoshi in Mailand sein eigenes, mit einem Stern ausgezeichnetes, Restaurant. Und auch Alberto Bettini, Chef und Betreiber des legendären Amerigo 1934, erzählte uns im Interview davon, wie viel er als Verfechter der Regionalküche mit den Prinzipien und Ideen der japanischen Küche anfangen kann.
Miso existiert in unzähligen Varianten, Farben und Reifegraden
Eines der interessantesten und am vielseitig einzusetzenden Produkte aus Japan, ist die Misopaste. Miso ist ein fermentiertes Mus aus Reis und Sojabohnen. Es existiert in unzähligen Varianten, Farben und Reifegraden. Ein bisschen wie bei gutem Balsamico oder Parmigiano Reggiano, wird seine Qualität in Monaten der Reifung angegeben. Und wie ebenfalls viele lang gereifte Lebensmittel schmeckt es vor allem eines: umami.
Es eignet sich daher perfekt für Soßen, Salatdressings oder als natürlicher Geschmacksverstärker. Ich habe es für eine Glasur von frischen Artischocken verwendet, in der ich die Misopaste mit Essig, Knoblauch, Parmigiano Reggiano und Trüffel kombiniert habe. Inspiriert hat mich dazu eine Vorspeise aus dem viel gerühmten Restaurant Nobu im Mailänder Armani Hotel. Das Gericht ist gewissermaßen eine Umami-Bombe. Tief und intensiv im Geschmack und der ideale Begleiter für das frische, leicht bittere, Frühlingsgemüse.
Eine Umami-Bombe
In einem Topf lasse ich eine fein gewürfelte Schalotte und Knoblauchzehe bei kleiner Hitze in Olivenöl glasig dünsten. Wenn sie zart und weich geworden sind, lösche ich mit einem kleinen Glas Weißwein ab und rühre eine großzügige Menge der Misopaste dazu. Ich habe diese 18 Monate gereifte Variante aus dem Bioladen benutzt, die sehr zu empfehlen ist. Grade bei Sojaprodukten kann man gar nicht genau genug darauf achten, wo sie herkommen. Ich lasse die Flüssigkeit ein wenig einkochen, schmecke sie mit Salz und Pfeffer ab und gebe noch etwas Balsamico und Senf dazu. Der Geschmack sollte an eine milde Vinaigrette erinnern. Deftig und vollmundig, nur vielleicht nicht ganz so sauer. Ich rühre noch etwas fein geriebenen Parmigiano Reggiano in die ohnehin schon zähe Flüssigkeit und lasse ihn bei kleiner Hitze schmelzen. Ebenfalls reibe ich schwarze Trüffel hinein. Im Gegensatz zu den weißen Wintertrüffeln, brauchen schwarze Trüffel Hitze um ihren Geschmack entfalten zu können. Ihr zartes, erdiges Aroma verschmilzt perfekt mit den anderen Zutaten. Jetzt püriere ich alles mit dem Mixstab zu einer dickflüssigen Creme.
Knackige und bissfeste Artischocken
In einem zweiten Topf bereite ich noch eine Parmigiano Reggianocreme zu. Dafür schmelze ich Butter, lasse ein Lorbeerblatt darin ziehen, gebe einen Schuss Weißwein hinzu und lasse unter ständigem Rühren fein geriebenen Parmigiano Reggiano in der Flüssigkeit schmelzen. Diese darf nicht so heiß sein, dass der Käse ausflockt, aber auch nicht so kühl, dass er nicht richtig schmilzt.
Nebenbei bereite ich die Artischocken vor, wie hier beschrieben. Ich halbiere sie und lasse sie roh in der Pfanne in Olivenöl braten, das ich zuvor mit einer grob geschnittenen Schalotte aromatisiert habe. Nach ein paar Minuten werden sie gewendet, gesalzen und gepfeffert. Sie sollten etwas Farbe bekommen und noch knackig und bissfest sein.
Unglaublich gut
Auf dem Teller werden sie mit der Miso-Glasur bestrichen und durch die Parmigiano Reggianocreme ergänzt. Ich gebe noch frische Petersilie und ein paar Blätter der weich gebratenen Schalotte dazu. Nun noch ein kräftiges Olivenöl, zum Beispiel aus Coratina-Oliven, darüber. Unglaublich gut.