Wer Italien liebt, muss Kohlenhydrate lieben und wer Kohlenhydrate liebt, muss Getreide lieben. Die Liebe zum Korn spürt man in Italien bei jedem Bäcker, an jedem Autogrill, in jedem Supermarktregal und in jeder Pizzeria: Köche und Lebensmittelproduzenten werden nicht müde, mit immer neuen Getreidevarianten zu experimentieren. Meist handelt es sich dabei um alte Weizensorten, die fast schon als ausgestorben galten, nun aber im Zuge von Gluten-Diskussionen und Gentechnik-Debatten neu aufleben. Pizza aus Kamutmehl zum Beispiel führt mittlerweile jede bessere Pizzeria. Und auch der Farro ist nichts anderes als eine Form des Weizens.
Die Liebe zum Korn spürt man in Italien bei jedem Bäcker, an jedem Autogrill, in jedem Supermarktregal und in jeder Pizzeria
Vor ein paar Wochen begegnete ich im Piemont einem Landwirtschaftsbetrieb, der ein vollkommen neues Getreide verkauft. Il nuovo cereale, genannt Tritordeum, was ein bisschen nach römischer Waffe bei Asterix und gleichzeitig nach Chemielabor klingt.
Tritordeum unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den ganzen Dinkels, Kamuts und Farros dieser Welt. Denn, im Gegensatz zu diesen tatsächlich alten Getreidesorten, ist Tritordeum tatsächlich etwas vollkommen Neues.
Entwickelt wurde es bereits vor Jahrzehnten von einer spanischen Forschergruppe, die zunächst erfolglos probierte, Hartweizen mit Gerste zu kreuzen. Erst eine spezielle Form der Wildgerste lies sich auf die neuerliche Verbindung ein und wird seitdem als Tritordeum kultiviert, und zwar in Spanien, Frankreich und eben insbesondere im Piemont.
Wichtig ist den Erfindern: Das neue Getreide ist auf natürliche Weise entstanden. Ohne den Einsatz von Gentechnik und Manipulation. Außerdem ist Tritordeum robust, anspruchslos anzubauen und hat gegenüber den klassischen Getreidesorten viele ernährungsphysiologische Vorteile. Es besitzt einen deutlich höheren Anteil an Ballaststoffen, die es besser verdaulich und vor allem wertvoller an Nährstoffen machen als weißes, ausgemahlenes Weizenmehl, wie wir es normalerweise benutzen.
Eine Kreuzung aus Wildgerste und Hartweizen: das ist Tritordeum
Noch dazu wird es von so leichtverdaulichen Eiweißen zusammengehalten, dass auch der penibelste Glutenskeptiker nichts mehr zu bekritteln haben dürfte. Der höhere Gehalt an einfacher, gesättigter Fettsäure (die wir auch aus dem Olivenöl kennen und die als wichtigster Bestandteil der sogenannten mediterranen Küche gilt), kann vielen Erkrankungen vorbeugen und sorgt dafür, dass das Mehl nicht ranzig werden kann.
Aber Schluss mit dem wissenschaftlichen Exkurs und endlich zurück zur Praxis: Der freundliche Verkäufer in Alessandria, der mich zunächst unaufhörlich mit selbstgebackenen Focacciastücken fütterte und dann zu einer ausgiebigen Ölprobe einlud (dazu ein andermal mehr), empfahl mir, das Mehl „ganz normal“ zu benutzen.
Hieß: Ganz herkömmlich Pizza damit zu backen oder Nudeln zu machen, wie immer. Ich entschied mich für letzteres, denn was wäre besser geeignet um die Konsistenz und den Geschmack einer Nudel zu prüfen, als in einer der schlichtesten Pastasoßen überhaupt?
Ich präsentiere voller Stolz:
Spaghetti chitarra tritordeum con cacio e pepe.
Die Verarbeitung des Mehls verlief erfreulich einfach, sogar besser als mit so manchem Weizenprodukt. Das Mehl ist sehr fein, weist im Teig eine fantastische Elastizität auf und scheint auch sehr gut mit Flüssigkeiten umgehen zu können. Ich habe es nur mit drei Eiern und etwas Salz vermischt. Es saugt die Feuchtigkeit sofort auf und wird ebenmäßig weich. Von Krümeligkeit keine Spur.
Noch dazu weist das Mehl eine leicht gelbliche Farbe auf, was der Nudelproduktion auch ohne exzessiven Einsatz von Eigelb sehr entgegen kommt. Alles in allem kein Vergleich zu Vollkornmehlen, Buchweizen und all den vermeintlichen Weizen-Ersatzprodukten.
Nach kurzer Ruhezeit im Kühlschrank habe ich den Teig problemlos ausgerollt (er ist wirklich unglaublich elastisch!) und durch die Chitarra gepresst. Heraus kamen perfekte, dicke Spaghetti.
Und der Geschmack? Naturgemäß bin ich eher skeptisch, was komplett neue Produkte angeht – vor allem, wenn sie ein so etabliertes und bewährtes Traditionslebensmittel wie den Weizen ersetzen sollen. Aber mit der Nudelexpertise eines fast täglichen Spaghettiessers kann ich guten Gewissens sagen: So gute Pasta habe ich selten gegessen! Die Konsistenz ist ein Traum. Der Stärkegehalt eine einzige Creme, der Geschmack dem Weizen sehr ähnlich. Nur voller, reicher, besser.
Ich frage mich ernsthaft, wieso man Pasta nicht nur noch aus Tritordeum herstellt.
Vielleicht noch ein paar Worte zum Rezept: Obwohl Cacio einfach nur Käse heißt, bereitet man spaghetti cacio e pepe traditionell ausschließlich mit der Käsesorte Pecorino romano und frisch gemahlenem Pfeffer zu.
Sicherheitshalber hier nochmal die Erklärung, denn es bedarf ein paar unersetzlicher Handgriffe, damit die Käsesauce gelingt:
Bei kaum einem Nudelgericht ist das Kochwasser so wichtig, wie bei cacio e pepe. Deshalb werden die Nudeln im Topf nur halbfertig gegart (und zwar mit nur vorsichtig gesalzenem Wasser, den Rest Salz steuert nachher der Pecorino bei). Danach kommen sie in eine große Pfanne, wo sie immer wieder mit gerade so viel Kochwasser benetzt werden, dass sie vor sich hin köcheln können.
Die Zubereitung ähnelt in gewisser Weise der des Risotto. Denn auch hier darf kein Kochwasser abgegossen werden, damit so viel Stärke wie möglich im Gericht enthalten bleibt.
Sind die Nudeln gerade gar und ist aber noch etwas Wasser in der Pfanne, kommt der Moment, in dem man unter ständigem Rühren der feinstgemahlene Pecorino romano unterhebt. Und zwar viel davon!
Hat man alles richtig gemacht, vermischt der Pecorino sich nun mit der verbleibenden Flüssigkeit zu einer Creme, die jede einzelne Nudeln zart umspielt, ohne zu verklumpen.
Ist die Creme zu dick, kann heißes Kochwasser hinzugegeben werden. Ist sie zu dünn, mehr Käse. Zum Schluss noch frisch gemahlenen Pfeffer dazu und ab auf den Teller. So machen sie es in Rom an jeder Straßenecke. Bestimmt auch mit Tritordeum. Zumindest in Zukunft.