Sizilien ist als größte Insel des Mittelmeers eigentlich ein Land für sich, dessen wechselhafte Geschichte und die Vielzahl fremder Herrscher das Entstehen einer ganz eigenen Esskultur gefördert hat. Im Mittelpunkt stehen zwar trotz allem Hartweizenpasta und Fisch und Meeresfrüchte aller Art, berühmt sind unter anderem die sizilianischen Seeigel, Sardinen und die roten Garnelen Gamberi Rossi di Mazara. Dass Afrika und der Orient nicht weit sind, erkennt man aber nicht zuletzt daran, dass sich in die auf den ersten Blick klassisch italienischen Speisen oft exotische Gewürze, Cous-Cous, Sesam, Anis oder der würzige Marsala-Dessertwein mischen. Entsprechend reich an Geschmackselementen sind sizilianische Speisen wie die süß-saure Caponata aus Auberginen, Tomaten, Rosinen, Essig, Pinienkernen und Orangenschale. Zum Frühstück ist es zu heiß für Capuccino, also isst man sein morgendliches Brioche zur Granita aus zerstoßenem Eis, Zucker und wahlweise frisch gepresster Mandelmilch oder Zitronensaft. Angst vor Zucker hat in Sizilien niemand, im Gegenteil, hier gilt das Motto viel hilft viel, auch in dieser Hinsicht ist die historische Verwandtschaft zum Orient erkennbar.
Der größte Reichtum dieser Insel war immer und ist bis heute seine Landwirtschaft. Die heiße Sonne, das Meer und die vulkanisch geprägte Landschaft schaffen ein Klima, das sich selbst genügt. Hier wächst, gedeiht und lebt alles, was man sich landwirtschaftlich erträumt, Sizilien ist ein biodynamisches Paradies, das Land muss nichts importieren und doch auf nichts verzichten. Die Liste der hier in bester Qualität wachsenden Früchte und Gemüsesorten ist in seiner Biodiversität endlos, von Tarocco-Orangen über die süßesten Aprikosen und die berühmten gelben Pfirsiche aus Leonforte, wilder Mangold, Kapern, Zichorien, Distel-Artischocken, wilder Oregano, … auf unzähligen Obst-, Gemüse und vor allem auch Fischmärkten des Landes kann man sich gepflegt mal ein ausgewachsenes Stendhal-Syndrom der kulinarischen Sorte zulegen. Nicht zuletzt, weil auch das Konzept Streetfood hier eine ganz neue Bedeutung bekommt. Fast alles gibt es in den Straßen Siziliens gleich auf die Hand, die feinen Kunstwerke tausender Pasticcerien sowieso, aber auch frittierte Meeresfrüchte, Innereien, mit frischesten Zutaten überladende Sandwiches und die berühmten frittierten Reisbällchen Arancini. Wie immer und überall gibt es jede sizilianische Spezialität in exzellenter aber auch in grottenschlechter Qualität, es lohnt sich also vorher genau hinzusehen und zu recherchieren, wo man was zu sich nehmen möchte. Die Zahl qualitativ hochwertiger Läden und Produzenten aber wächst glücklicherweise wieder. Trotz der extremen süditalienischen Armut und der gnadenlos voranschreitenden Industrialisierung – oder auch gerade wegen beider Faktoren – findet man in Sizilien erstaunlich viele Hirten, Bauern, Köche und Jungunternehmer, die sich mit Herzblut dem Erhalt ihres Territoriums und seinem kulinarischen Erbe verschrieben haben. Sizilianische Institutionen wie das des dank einer Netflix-Serie mittlerweile international verehrten Corrado Assenza geführte Caffè Sicilia in Noto stellen ihre Mandel- oder Zitronengranita, ihre mit Ricotta gefüllten Cannoli oder die knallsüße sizilianische Cassata ausschließlich mit den Produkten von regionalen Bauern ihres Vertrauens her. Nicht nur auf Assenzas Initiative hin setzen sich mittlerweile einige Aktivisten wieder für die Kultivierung antiker Obst- und Gemüsesorten Siziliens ein, allen voran die Pistazien aus Bronte und die antiken und vom Aussterben bedrohten Mandelsorten Pizzuta, Fascionella und Romana zwischen Avola und Noto.