Meine Beziehung zum Wildschwein basiert auf verschiedenen Erlebnissen. Dem exzessiven Konsum von Asterix-Geschichten zum Beispiel. Oder meinem langjährigen Wohnort in der Nähe des Ebersberger Forsts. In dem riesigen Waldgebiet östlich von München gibt es die größten Vorkommen von Wildschweinen rund um die Stadt. Vor allem aber hat sich meine Beziehung zum Wildschwein in Italien gefestigt. Denn hier gehört das Wildschwein fest auf den Speiseplan. Wildschweinsalami, Wildschweinragù, Wildschweinschinken. Die Liebe der Italiener zum Schwarzwild ist allgegenwärtig. Und wie in so vielen anderen Ernährungsfragen, kann die italienische Küche auch hier ein gutes Vorbild sein.
Wildschwein ist gesund und ökologisch einwandfrei
Denn Wildschwein ist gesund, ökologisch einwandfrei und stammt aus der Region. Alles Eigenschaften, die heute an jeder Straßenecke propagiert werden. Die Tiere, die naturgemäß artgerecht in völliger Wildnis aufwachsen, ernähren sich nur von dem, was der Waldboden hergibt. Antibiotika oder Kraftfutter sucht man vergebens. Kein Regenwald wird für den Anbau von Soja für Wildschweine abgeholzt und kein Fleisch um die halbe Welt gefahren. Wildschweine sind bio im eigentlichen Sinne und es gibt so viele von ihnen, dass man der Welt sogar etwas Gutes tut, wenn man sie ab und zu zum Abendessen zubereitet. Gute Ernährung ohne Tierleid und Nebenwirkungen für die Umwelt. Fast zu schön um wahr zu sein. Ganz nebenbei schmeckt Wildschwein auch noch außerordentlich gut.
Sicher, Wildschweinfleisch kann Träger von Krankheitserregern sein und auch heute noch wird ein großer Teil des Fleisches aussortiert, weil es selbst Jahrzehnte nach Tschernobyl noch radioaktiv belastet ist. Aber diese Risiken können leicht ausgeschlossen werden. Fleisch, das die strengen Bestimmungen nicht erfüllt, gelangt ohnehin nicht in den Handel.
Trotz all dieser offensichtlichen Vorteile gestaltet es sich in München durchaus schwierig, Wildschwein zu kaufen. Große Supermärkte, Metzgereien, selbst Verkäufer an Marktständen mitten im Wildschweingebiet schütteln nur den Kopf. Darf es stattdessen ein Rehrücken sein? Frisches Lammfleisch?
Wildschwein hat seinen Preis
Fündig werde ich dann endlich auf dem Viktualienmarkt. Hier gibt es Stände, die ausschließlich selbst geschossenes Wild aus der unmittelbaren Umgebung verkaufen. Deshalb hat Wildschwein hier auch seinen Preis.
Alle Skeptiker und Sparfüchse, die jetzt gleich „Hilfe, teuer!“ rufen, können beruhigt werden. Auch hier gilt die Ernährungsregel Nummer eins: Lieber einmal im Monat ökologisch einwandfreies Wildschwein kaufen, als einmal die Woche Supermarktfleisch aus der Massentierhaltung. Übrigens ist das eine Grundregel, die sich auch gut auf den Kauf von Trüffeln, Wintermänteln, Armbanduhren und sonstige vermeintlich teure Gebrauchsgegenstände anwenden lässt.
Was macht man jetzt also an einem regnerischen Januartag aus der frischen Wildschweinkeule? Natürlich den Klassiker, der jedes mittelalterliche toskanische Steinhaus und jede umbrische Trattoria seit Jahrhunderten wärmt: Ragù di cinghiale mit frischen Pappardelle.
Los geht’s: In einem schweren Topf erhitze ich Öl und gebe dann in kleine Würfel geschnittene Zwiebeln, Karotten und Sellerie dazu. Ich lasse das Gemüse für mein Soffritto gerne etwas gröber geschnitten. Außerdem nehme ich weniger Karotten als Zwiebel und Sellerie. Karotten sorgen sonst schnell für zu viel Süße. Beim Wildschwein mag ich außerdem auch noch etwas Knoblauch.
Ein guter Schuss Weißwein
Dann wird das grob gewürfelte Fleisch dazugegeben und von allen Seiten angebraten, bis es nicht mehr roh aussieht. Wer möchte, löscht jetzt mit einem großzügigen Glas Rotwein ab. Wem der Geschmack von Rotwein, der ein Ragù oft dominiert, zu schwer und weihnachtlich ist, kann auch auf einen guten Schuss Weißwein zurückgreifen. So mache ich es auch bei beim Ragù alla Bolognese. Weil ich den feinen Geschmack des Wildschweins schätze und für mich nicht jedes geschmorte Fleischgericht gleich zu einem Peposo werden muss. Ich gebe außerdem einen Zweig Rosmarin, ein Lorbeerblatt und je nach Geschmack ein paar Wacholderbeeren und Pfefferkörner dazu. Dann fülle ich alles mit gewürfelten Tomaten aus der Dose auf und lasse alles erstmal zugedeckt auf kleiner Hitze schmoren.
Idealer Begleiter eines jeden Fleischragù: Frische Pappardelle
Die Zeit lässt sich gut nutzen, um die frische Pasta zuzubereiten. Aus Mehl, Grieß, einem ganzen Ei und mehreren Eigelb knete ich einen weichen, geschmeidigen Pastateig. Ich lasse ihn in Folie gewickelt eine halbe Stunde im Kühlschrank ruhen. Dann rolle ich ihn dünn aus und schneide breite Nudeln herunter. Zwei Finger breit dürfen die Pappardelle für ein rustikales Gericht wie dieses schon sein.
Das Ragù ist nach zwei, besser drei Stunden fertig. Sollte die Flüssigkeit vorher verkochen, gebe ich ein wenig Wasser dazu. Zum Schluss sollte eine sämige, angenehm dicke Soße mit butterweichem Fleisch entstanden sein. Ich schmecke mit Salz und Pfeffer ab, entferne Wacholderbeeren und Rosmarinzweige. Die Pasta lasse ich wenige Minuten in Salzwasser kochen und vermische sie dann mit dem Wildschweinragù.
Wer möchte, kann noch frisch geriebenen Parmigiano Reggiano oder besser noch Pecorino darüber geben. Ich verzichte bei ohnehin schon intensiv würzigen Gerichten meistens darauf.