Was wäre die Kultur der italienischen Pasta ohne die unzähligen Typen der gefüllten Nudel? Tortellini und Tortelli, Ravioli und Cappelletti, Casoncei und Agnolotti – wer sich auf eine Reise durch das Land begibt, findet in beinah jeder Region eine eigene gefüllte Nudelspezialität mit eigenem Namen.
Pasta ripiena ist ursprünglich eine norditalienische Idee
Die Idee, eine Mischung köstlicher Zutaten in frischen Nudelteig zu hüllen, ist eine eher norditalienische. Entsprechend findet man die größte Vielfalt gefüllter Pasta auch zwischen Südtirol und der Toskana. Insbesondere in der Po-Ebene und der angrenzenden Emilia füllt man alles, was die regionale Landwirtschaft hergibt in unterschiedlich dünnhäutige Pasta.
Man denke nur an die mit Fleisch gefüllten, kissenförmigen kleinen Agnolotti aus den Ausläufern der Piemonteser Berge. Die mit Taleggio gefüllten Casoncei aus Bergamo, die mit bitteren Kräutern gefüllten Tortelli amari aus der östlichen Lombardei oder an die mit Kürbis gefüllten, berühmten Tortelli di Zucca aus Mantua und den umliegenden Gemeinden.
Überhaupt ist die Gegend rund um Mantua eines der wichtigsten Zentren der gefüllten Pasta. In Valeggio sul Mincio, einem kleinen Örtchen direkt im angrenzenden Veneto, gibt es mehr Pastifici als anderswo Bäckereien. Sie alle produzieren täglich frische Tortelli aus hauchdünnem Pastateig, die sie mit Käse, Radicchio oder einer Fleischmischung füllen. Die berühmtesten sind jene süß-scharfen Tortelli di zucca, die mit dem berühmten, aromatischen Kürbis der Region, der Zucca mantovana, den typischen in scharfem Senfsirup eingelegten Früchten, zerstoßenen Amaretti-Keksen, Grana und Gewürzen gefüllt sind. Ursprünglich ein klassisches Weihnachtsessen, serviert man sie heute das ganze Jahr über.
Eine halbe Million handgefaltete Tortelli
Der Höhepunkt der Tradition findet dort alljährlich im Juni statt. Unter freiem Himmel verspeisen 3000 Gäste über eine halbe Million handgefaltete Tortelli. Die Plätze auf einer wunderschönen, halb verfallenen Brücke über dem Fluss Mincio sind schon Monate vorher ausgebucht. Dies hat vielleicht auch mit der Legende um den Nodo d’amore zu tun, dem Liebesknoten, nach dessen Vorbild die Nudeln geformt sein sollen. Angeblich symbolisieren die Tortelli ein verknotetes Taschentuch. Eine Nymphe habe es einst einem Feldherrn als Liebesbeweis überreicht, nachdem sie den Fluten des Mincio entstiegen sei.
Ein paar Ortschaften weiter füllt man die Tortelli della Possenta mit einer Mischung aus Kirschen, Rotwein und Senffrüchten, immer serviert in einer Emulsion aus Butter, Kochwasser und Salbeiblättern.
Mit Kürbis gefüllte Tortelli di zucca
Gefüllte Pasta in der Brühe
Überschreitet man die Grenze zur Emilia Romagna, wird die gefüllte Pasta fleischhaltiger. Die Tortellini in Brodo, wie man sie vor allem in Bologna und Modena zubereitet, gehören zu den größten Klassikern der italienischen Küche. Die winzigen Nudeln werden mit den regionalen Fleischspezialitäten Mortadella und Prosciutto crudo, frischem Fleisch und Parmigiano Reggiano gefüllt und dann in einer deftigen Brühe gegart. Natürlich ebenfalls inklusive der passenden Legende. Hier soll es ein verliebter Koch gewesen sein, der durchs Schlüsselloch einen Blick auf den Bauchnabel seiner Angebeteten erhascht haben soll. Fortan formte er Pasta in Größe und Form eines Frauenbauchnabels. Der gute Geschmack dieser Geschichte ist sicherlich diskussionswürdig, der der Tortellini dennoch unvergesslich.
Aber sogar in der für Fleisch berühmten Region Emilia darf die einfachste Variante der Pasta ripiena auf keiner Speisekarte fehlen: Die Ravioli mit Spinat und Ricotta.
Sie sind das Gericht, das die Welt der gefüllten Pasta zusammenhält. Von den Südtiroler Schlutzkrapfen über die Tortelli di Borragine aus Ligurien. In letzteren wird der Spinat durch Borretsch ersetzt. Oft kommen auch die Erbette genannten jungen Mangoldblätter oder anderen grüne Gemüsesorten zum Einsatz. Es existiert wohl kaum eine Trattoria zwischen Mailand und Florenz, die keine frischen mit Ricotta und grünem Gemüse gefüllten Nudeln auf der Speisekarte hat.
Noch eine Besonderheit in der Welt der gefüllten Pasta findet sich weiter östlich in der Romagna. Für die hier typische „Spoja Lorda“ (von sfoglia lorda, schmutzigem Teig) wird der typische Frischkäse Squaquerone zwischen zwei Lagen Teig gestrichen, der dann in kleine Quadrate geschnitten wird. Als typische Resteverwertung der cucina povera macht man sich hier nicht mal die Mühe, die einzelnen Nudeln ordentlich zu verschließen. Stattdessen gart man sie in einer Brühe, die durch den austretenden Käse sogleich „verschmutzt“ wird. Das grasige Olivenöl der Romagna ergänzt das Gericht.
Mit Fleisch gefüllte Tortellini aus der Emilia
Flüssiges Eigelb und gefrorenes Olivenöl in Nudelteig
Wer versucht ist, selber Pasta zu füllen, sei dringend ermutigt, es zu tun. Die anfänglich so kompliziert scheinende Arbeit wird schnell zur Gewohnheit. Außerdem fördert gefüllte Pasta die Kreativität in der Küche mit wenigen Zutaten wie kaum ein zweites Gericht. Hier noch ein bisschen Ricotta und da noch eine Zitrone übrig? Einfach die Zitronenschale mit ein bisschen Parmigiano Reggiano in die Ricotta reiben und in Pasta füllen. Noch einen Rest eingelegter Tomaten im Kühlschrank gefunden? Einfach kleinschneiden und mit Käse vermengen. Nach oben sind die Grenzen offen. Könner füllen ihre Pasta mit flüssigem Eigelb oder – wie gerne in der hohen Gastronomie – mit gefrorenem Olivenöl. Die Lernkurve ist steil und selbst die vermeintlich einfachsten Zutaten werden zwischen dünnen Lagen Pastateig zum Festmahl.
Die perfekte Mischung
Apropos Pastateig. Dessen Zubereitung gleicht im Wesentlichen jener der klassischen Pasta fresca: Fein ausgemahlenes Weizenmehl (in Italien benutzt man 00, doppio zero, das in etwa dem deutschen 405 entspricht) wird mit Hartweizengrieß Semola (etwas gröber) oder Semolina (etwas feiner) vermischt und dann zusammen mit frischen Eiern zu einem geschmeidigen Teig für die gefüllte Pasta verknetet.
Eine gute Faustregel lautet: Etwas mehr Mehl als Grieß, ein ganzes Ei und den Rest mit Eigelb ergänzen. Für die ganz feinen, hauchdünnen Tortelli aus Mantua empfiehlt es sich, ausschließlich Mehl zu benutzen. Die Flüssigkeit sollte man außerdem ausschließlich aus Eigelb zu beziehen. Der Teig wird dadurch deutlich feiner, elastischer, lässt sich besser dehnen und dünner ausziehen. Außerdem erhält er die typische, dunkelgelbe Farbe. Die perfekte Mischung ist maßgeblich von der Qualität und Beschaffenheit der verwendeten Mehlsorten abhängig und lässt sich nicht verallgemeinern. Macht man einen Teig für zwei Personen, kommen auf 200 Gramm Mehl (oder 100 Gramm Mehl und 100 Gramm Hartweizengrieß) etwa ein ganzes Ei und ein bis zwei Eigelb. Dies ist aber nur ein Richtwert.
Den gut durchgekneteten, geschmeidigen Teig in eine Folie wickeln und im Kühlschrank mindestens eine Stunde ziehen lassen, länger ist besser. So verbinden sich die einzelnen Komponenten optimal, das Mehl kann aufquellen und der Teig ist viel leichter zu verarbeiten. Den ausgerollten Teig während der Verarbeitung unbedingt immer mit Folie oder einem feuchten Tuch abdecken. Sonst trocknet er zu schnell aus.
Dieser Text ist auch in Merum erschienen, dem Italien-Magazin für Wein, Olivenöl, Reisen und Speisen, mit dem wir regelmäßig zusammenarbeiten.